Suizidwillige ernst nehmen

HVD fordert gesetzliche Regelung der Suizidbeihilfe. Die momentanen Absichten des Bundesjustizministeriums gehen am Problem vorbei.

„Wir brauchen endlich eine gesetzliche Regelung der Suizidbeihilfe“, sagte Erwin Kress, Vizepräsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands, am Dienstag in Menden. „Dass das Bundesjustizministerium gemäß Koalitionsvertrag beabsichtigt, die gewerbsmäßige Suizidbeihilfe zu verbieten, würde nichts an der grundsätzlich skandalösen Situation in Deutschland ändern“, so Kress.

„Es darf nicht hingenommen werden, dass leidende, schwerkranke oder hochbetagte Menschen, die ihr Leben wohlüberlegt und aus freiem Willen beenden wollen, allein gelassen werden oder am Rande der Legalität agieren müssen. Ein Blick in die Nachbarländer wie die Niederlande oder die Schweiz, vor allem aber nach Oregon/USA, könnte hier durchaus lehrreich sein“.

Das Bundesjustizministerium (BJM) arbeitet momentan an einem Gesetz, das gewerbsmäßige Suizidbeihilfe verbietet und sich gegen die Tätigkeiten der Vereine DIGNITAS Deutschland, und SterbehilfeDeutschland richtet. Im Strafgesetzbuch soll ein neuer Straftatbestand (§ 217 StGB-E) geschaffen werden, der die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt und diese Tätigkeit als abstrakt das Leben gefährdende Handlung verbietet.

„Aus unserer humanistischen Perspektive ist dieser Ansatzpunkt aber vollkommen unzureichend“, so Kress. „Mit dem Gesetzentwurf würde der Gesetzgeber das Pferd von hinten aufzäumen. Denn Suizid ist in diesem Land längst Realität.“

Von den jährlich rund zehntausend Menschen in Deutschland, die ihr Lebensende absichtlich herbeiführen, sind 4.000 älter als 65 Jahre. Der Anteil von Menschen aus dieser Altersgruppe, die auf diese Weise aus dem Leben zu scheiden versuchen, steigt.

„Eine staatliche Suizidprophylaxe existiert hingegen kaum“, so Kress weiter. „Menschen im höheren Alter werden zu unwürdigen und riskanten Formen der Selbsttötung getrieben, weil sie ihr Leid und ihre Ausweglosigkeit kaum jemandem offenbaren können.“ So stoßen Betroffene statt auf qualifizierte Beratung und Fürsorge vielfach auf Ablehnung und Empörung.

„Und auch Ärzte dürfen in aussichtslosen Fällen und bei schwerem, nicht behebbarem körperlichen Leid keine Hilfe zur (straffreien) Selbsttötung leisten“, kritisierte Kress. Dies verbietet das ärztliche Standesrecht. „Auf diese Weise werden Hilfesuchende in die Arme von Sterbehilfeorganisationen getrieben, die mitunter das Recht auf Selbstbestimmung verabsolutieren.“

Da nicht davon auszugehen ist, dass die Bundesärztekammer von sich aus ihren Boykott der Suizidbeihilfe aufgibt, müsse daher endlich der Gesetzgeber handeln. Zuvor sei eine breite gesellschaftliche Debatte nötig, in welchen Fällen und unter welchen Bedingungen eine professionelle Hilfe durch Ärztinnen und Ärzte bei der Erfüllung eines Sterbewunsches in Anspruch genommen werden darf.

„Die Niederlande und die Schweiz zum Beispiel haben uns jahrelange Erfahrungen auf diesem Gebiet voraus. Wir sollten jedoch in Deutschland eher eine gesetzliche Regelung anstreben, wie sie z. B. in amerikanischen Bundesstaaten wie Oregon und Washington mit gutem Erfolg eingeführt ist“, so Erwin Kress.

„Erst in diesem gesetzlichen Rahmen ist zu klären, dass Beihilfe bei der Selbsttötung eines anderen aus Gewinnsucht oder sonstigen eigennützigen Interessen zu bestrafen ist. Dies sollte auch für die gewerbsmäßige Werbung für Beihilfe gelten.“, so Kress. „Der Gesetzgeber muss endlich klare und angemessene Normen für den Bereich der Beihilfe zur Selbsttötung, den assistierten Suizid, setzen.“

Weiterführende Informationen: Selbstbestimmung bei der Beendigung des Lebens – Beschluss des Bundeshauptausschusses des HVD vom 16. Juni 2012

 

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