Politik muss Menschenwürde und Autonomie schützen

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Selbstbestimmung und Würde am Lebensende: HVD-Vizepräsident Erwin Kress rief die Mitglieder des Bundestages dazu auf, weiter ihre Verantwortung wahrzunehmen.

Es ist eine wichtige Aufgabe des Staates, das Leben seiner Bürgerinnen und Bürger bis zuletzt zu schützen und ihnen ein würdiges Lebensende zu ermöglichen. Die Politik darf sich jedoch nicht anmaßen, freiwillensfähige und todkranke Menschen daran zu hindern, in freier Selbstbestimmung das eigene Leben zu beenden und sich dabei helfen zu lassen.

Daran hat Erwin Kress, Vizepräsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands, am Freitag in einem Aufruf an die Mitglieder des Deutschen Bundestages erinnert. In einem Schreiben rief Kress die Abgeordneten auf, ihre Verantwortung für die Versachlichung der gesellschaftlichen und politischen Debatte über die gesetzliche Regelung der Suizidbeihilfe wahrzunehmen.

Ein Anlass des Aufrufs ist, dass die Regierungskoalition die Verabschiedung eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufgrund fehlender Einigkeit über die Reichweite des Verbots der Beihilfe zum Suizid Ende Januar vorläufig ausgesetzt hat. Vertreter der Kirchen, Teile der CDU und andere Kräfte hatten zuvor wiederholt verlangt, den Entwurf des Bundesjustizministeriums zu verschärfen und ein weitestgehendes Verbot gefordert. Der Humanistische Verband Deutschlands wie auch zahlreiche weitere Organisationen äußerten sich ablehnend gegenüber den Forderungen und auch dem vorgelegten Gesetzentwurf.

Im Aufruf wies Erwin Kress die Abgeordneten nun erneut darauf hin, dass nicht lediglich sicherzustellen ist, dass Menschen nicht zu einer Selbsttötung verleitet werden. Für eine Lösung der Diskussion über die Suizidbeihilfe benannte er neben den Verpflichtungen, Autonomie und die Menschenwürde zu schützen, zwei weitere Aufgaben, denen sich die Politik stellen müsste. So habe sie dafür Sorge zu tragen, dass sich Menschen nicht vor einem unwürdigen Leben im Pflegeheim fürchten müssen. Nötig sei auch, Beratungen für Menschen in scheinbar aussichtslosen Situationen sicherzustellen und Suizidwünsche nicht durch rigide Verbote zu tabuisieren. Alle Erfahrungen haben gezeigt, dass eine Enttabuisierung des Suizids eine erhebliche prophylaktische Wirkung entfalten kann.

Kress: „Lebensschutz für betagte und schwerkranke Menschen, die ihr Leben in scheinbar aussichtsloser Situation beenden möchten, bedeutet nicht, dass man sie unter Drogen setzt und gegebenenfalls wegsperrt. Man muss sie vielmehr ernst nehmen, gemeinsam mit ihnen nach Alternativen suchen, darf sie aber auch nicht alleine lassen, wenn sie aus Überzeugung an ihrem Wunsch zur Lebensbeendigung festhalten.“

Er verwies deshalb auf den vom HVD vorgelegten Alternativentwurf zur gesetzlichen Regelung der Suizidbeihilfe sowie den im vergangenen Jahr in der Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin erschienenen Sammelband „Suizidhilfe als Herausforderung – Arztethos und Strafbarkeitsmythos“ hin. Dieser war im Dezember an alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages verschickt worden.

Der von der Psychologin Dr. Gita Neumann, Patienten- und Pflegebeauftragte des HVD und Leiterin der Bundeszentralstelle Patientenverfügung, herausgegebene Band enthält ärztliche, ethische und psychologische Positionen aus Sicht der Praxis sowie persönliche Aussagen Betroffener zum umstrittenen Thema der Suizidhilfe, verbunden mit juristischen Klarstellungen und humanistischen Lösungsansätzen.

„Vorhandene Unsicherheit und Ängste bei der Bevölkerung und bei Ärzten führen nicht zu weniger Leid“, so Kress schließlich im Aufruf des HVD an die Mitglieder des Deutschen Bundestags. „Sie tragen vielmehr zu unkontrollierbaren Maßnahmen im Verborgenen, wie zu vermeidbaren menschlichen Katastrophen bei.“ Dem müsse die Politik entgegenwirken und sich den damit verbundenen Aufgaben stellen.

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