HVD: Die europäische Idee muss allen Menschen nutzen können

Beitrittsverhandlungen mit der Türkei setzen ein klares politisches Bekenntnis zu den EU-Verfassungsprinzipien voraus. Die volle Anerkennung religiöser Minderheiten ist dabei unverzichtbar.

„Verhandlungen über den Beitritt der Türkei müssen einen Schwerpunkt auf die bis heute andauernd und teils erschreckend schlechte Situation nicht-muslimischer Minderheiten im Land legen“, betonte Frieder Otto Wolf, Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands, am Freitag in Berlin.

Zuvor hatten die Außen- und Europaminister erstmals seit drei Jahren für die Eröffnung eines weiteren Kapitels von EU-Beitrittsgesprächen gestimmt. Unter anderem auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sprach sich deutlich dafür aus, dass der Türkei die Türen zu einem Beitritt zur Europäischen Union offen stehen müssten.

Aus der Perspektive des HVD sei dies ein wichtiger positiver Schritt, sagte Frieder Otto Wolf. Die EU mache damit deutlich, dass sie sich nicht als ein „christliches Abendland“ begreift und „sich auch nicht von ideologischen Kampagnen beeindrucken lässt, in denen mehrheitlich islamischen Ländern die Fähigkeit zu moderner Staatlichkeit und Kultur grundsätzlich abgesprochen und behauptet wird, dass die islamische Religion als solche in höherem Grade mit einer modernen Demokratie unvereinbar sei als andere Religionen.“

Frieder Otto Wolf appellierte zugleich an die deutschen Abgeordneten im Europäischen Parlament und an die Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Außenpolitik, bei den Verhandlungen frühzeitig und konsequent einen Schwerpunkt auf die ungeteilte Umsetzung und Geltung der Menschenrechte zu legen, insbesondere im Hinblick auf das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Er unterstrich, dass die Europäische Union mehr als ein Bündnis in wirtschaftlichen Fragen darstellt und sich als Staatengemeinschaft auf geteilte Grundüberzeugungen und Rechtsprinzipien beruft.

„Die Gedanken an einen EU-Beitritt müssen deshalb schon heute unbedingt mit der klaren Forderung verbunden sein, dass der immer noch vorhandenen Benachteiligung und teils erschreckenden Verfolgung von religiösen und weltanschaulichen Minderheiten in der Türkei wie in jedem europäischen Land ein Ende gesetzt wird.“

Er erinnerte daran, dass unter anderem die große alevitische Gemeinschaft bis heute nicht vom türkischen Staat anerkannt ist und auf vielfältige Weise gegenüber den traditionellen islamischen Konfessionen benachteiligt wird. Aleviten mussten in der Vergangenheit wiederholt tödliche Gewalt durch religiöse Fundamentalisten und Nationalisten erleiden.

Sowohl Angehörige der alevitischen Gemeinschaft wie Mitglieder anderer religiöser Minderheiten und schließlich auch nichtreligiöse Menschen sehen sich in der Türkei immer wieder mit staatlicher oder gesellschaftlicher Repression konfrontiert. Hass fördernde Diffamierungen nicht-muslimischer Gruppen durch führende Politiker sind keine Seltenheit.

„Nicht nur in ökonomischer Hinsicht, vor allem in Fragen der Rechte religiöser und weltanschaulicher Minderheiten müssen alle Verhandlungen konsequent daraufhin wirken, dass auch hier die europäische Idee von einer Gemeinschaft aus gleichberechtigten Mitgliedern, die sich den Prinzipien von Frieden und Freiheit, von Gleichheit, Demokratie und Rechtstaatlichkeit verpflichtet haben und für Menschenrechte und Solidarität eintreten, tatsächlich allen Menschen nutzen kann, die hier leben“, so Frieder Otto Wolf.

„Das ist die große Chance und Notwendigkeit, die mit den Verhandlungen über einen EU-Beitritt nicht nur der Türkei untrennbar verbunden werden muss. Das Ja zur Europäischen Union darf auf das unmissverständliche Ja zur Freiheit des Denkens, der Rede und der Kunst ebenso wenig verzichten wie auf das Ja zu religiöser und weltanschaulicher Vielfalt.“

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