Koalitionsvertrag: Gleichstellung darf kein Lippenbekenntnis sein

HVD will intensiven Dialog der Regierungskoalition mit Weltanschauungsgemeinschaften im Sinne der Konfessionsfreien und anderer Minderheiten einfordern.

Zum von den Unionsparteien und der SPD vorgelegten Koalitionsvertrag erklärte Frieder Otto Wolf, Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD), heute in Berlin: „Wir begrüßen es, dass sich die Koalition darauf verständigt hat, in den kommenden Jahren das Gespräch auch mit Menschen zu suchen, die sich keinem religiösen Glauben verbunden fühlen. Wir freuen uns, dass sie nichtreligiöse Weltanschauungsgemeinschaften als Bereicherung des gesellschaftlichen Lebens anerkennt, deren Wirken zum Zusammenhalt der Gesellschaft beiträgt.“

Der am Mittwoch vorgestellte Vertrag sieht vor, dass die Koalition den Dialog mit den christlichen Kirchen, Religionsgemeinschaften und religiösen Vereinigungen sowie den Weltanschauungsgemeinschaften „intensiv pflegen“ will. Es ist das erste Mal seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland, dass ein Koalitionsvertrag sich ausdrücklich auf das Wirken von Weltanschauungsgemeinschaften ohne religiöses Bekenntnis bezieht.

„Auf europäischer Ebene kennen wir bereits Beispiele für solche Gespräche“, sagte Wolf weiter. Dort ist der Dialog zwischen den weltanschaulichen Gemeinschaften und den EU-Institutionen im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union geregelt und wird durch die Europäische Humanistische Föderation wahrgenommen. „Deshalb wissen wir, dass die Gleichstellung der nichtreligiösen Menschen an dieser Stelle nur ein erster Schritt ist, bis es tatsächlich zu diesem vereinbarten Austausch kommt. Die nun durch den Koalitionsvertrag konkretisierte Gleichstellung mit Religionsgemeinschaften, wie sie das Grundgesetz ausdrücklich vorsieht, sollte nicht nur ein Lippenbekenntnis bleiben.“

Einige Themen für die Gespräche mit der künftigen Regierung seien im Koalitionsvertrag schon genannt, sagte Wolf weiter. „Wir werden hier für die aus unserer Sicht notwendige Reform des Staatskirchenrechts, an dem die Koalition laut Vertrag unverändert festhalten will, werben. Auch beim kirchlichen Arbeitsrecht sehen wir klaren Gesprächsbedarf, damit die Grundrechte von konfessionsfreien und konfessionell gebundenen Menschen zukünftig besser geachtet und verwirklicht werden. Doch auch darüber hinaus sehen wir zahlreiche Themen, vom Lebensbeginn bis zum Lebensende, bei denen wir unsere Positionen klarer vermitteln müssen.“

Kritik übte er daran, dass die Koalition sich für das Festhalten am staatlichen Einzug der Kirchensteuern und gegen die Öffnung der Ehe für alle entschieden hat. „Hier sind viele westeuropäische Staaten schon weiter, wenn es um die Forderung nach der Beseitigung rechtlicher, gesellschaftlicher und symbolischer Ungleichbehandlungen geht“, so Wolf.

Der Koalitionsvertrag enthalte im Ergebnis schließlich aber auch eine klare Aufforderung an die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, die gegebenen Möglichkeiten zu nutzen.

„Ein großer Teil der Menschen in der Bundesrepublik orientiert sich im Leben heute ohne die Bindung an religiöse Konfessionsgemeinschaften. Viele von ihnen engagieren sich für unsere Gesellschaft und tragen zu den sie verbindenden Werten, zu ihrem Zusammenhalt und zur öffentlichen Kultur bei. Die jetzt im Koalitionsvertrag vereinbarte Gleichstellung im Dialog bietet aus der Sicht unseres Bundesverbandes einen guten Weg, auch auf anderer Ebene die dringend notwendige Gleichstellung der vielen Menschen mit einer humanistischen und säkularen Weltanschauung in unserem Land voranzubringen.“

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