„Globalisierte Gegenwart verlangt ein neues Selbstbewusstsein“

Humanistischer Verband Deutschlands engagiert sich im interreligiösen Dialog: Erster Brief an Papst Franziskus setzt Schwerpunkte bei konkreten Streitfragen und Problemen.

Keine Kirche nach ihrem Maß, aber ein Mindestmaß an Respekt für Prinzipien der freiheitlichen Gesellschaft: Humanisten verlangen von Papst Franziskus, dass die Kirche in der globalisierten Welt als besonnener und toleranter Akteur ihr Wirken entfaltet. Das hat der Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschland, Frieder Otto Wolf, in einem ersten Brief an Franziskus deutlich gemacht.

Mit dem Schreiben an das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche hat Wolf als erster deutscher Repräsentant von nichtreligiösen Menschen den Faden der Initiative „Vorhof der Völker“ aufgegriffen. Die vor rund vier Jahren von der Kirche entwickelte Initiative soll die Annäherung und Förderung des gegenseitigen Verständnisses zwischen den Glaubenden und Nicht-Glaubenden zum Ziel haben. In dem Rahmen wurden bislang rund anderthalb Dutzend Veranstaltungsreihen an verschiedenen Orten der Welt durchgeführt, bei denen es zu Begegnungen zwischen Vertretern der Kirche, Atheisten und Agnostikern kam. Die letzte Veranstaltungsreihe unter dem Titel „Freiheitserfahrungen mit und ohne Gott“ hat Ende November in Berlin stattgefunden.

Mit dem Brief reagiert nun der Präsident des Humanistischen Verbandes öffentlich auf die Initiative. In seinem kurzen, knapp sieben Seiten umfassenden Schreiben an Franziskus skizzierte Wolf dem gebürtigen Argentinier zunächst, in welchen Traditionslinien sich die Mitglieder der verhältnismäßig jungen Weltanschauungsgemeinschaft stehen sehen. Wolf betont dabei, dass die Forderung, tragfähige Grundlagen für ein friedliches und tolerantes Zusammenleben zu stiften, einen elementaren Kern ihrer humanistischen Weltanschauung darstellt. Und ein Fundament des Friedens bilde der offene Dialog, so Wolf.

Theologische oder philosophische Streits werden im Brief aber nicht ausgebreitet. Den Schwerpunkt bilden stattdessen konkrete moralische, kulturelle und politische Fragen und Problemfelder. Die Akzeptanz der Evolution, das Recht auf Selbstbestimmung in allen wichtigen Phasen des Lebens bzw. Ebenen der Lebensgestaltung sowie die Bekräftigung der auch bei vielen Kirchenangehörigen festgestellten Notwendigkeit zu Reformen in der Haltung zur menschlichen Sexualität bilden den Kanon an Themen, in denen die Kirche sich mit besonderer Umsicht und Sorgfalt verhalten muss, wenn sie den Frieden zwischen den Menschen fördern wolle. Auch die weltweit vorhandene Diskriminierung und Verfolgung nichtreligiöser Menschen spricht Wolf an und bittet Papst Franziskus um seinen Einsatz im Fall des bekannten indischen Rationalisten Sanal Edamaruku, der im Jahr 2012 nach Anklagen durch Vertreter der katholischen Kirche in Indien in das ferne Skandinavien flüchten musste. Zuvor hatte er ein vermeintliches Wunder entzaubert.

Im dritten Abschnitt schlägt der Brief schließlich konkrete Themen vor, in denen die Kirche und Nicht- bzw. Andersglaubende einen Konsens zu humanen Minima und gemeinsamen Forderungen finden sollten, um Konflikte und Konfrontationen zu überwinden und so einen Beitrag zur Entwicklung einer zukunftsfähigen Kultur der Menschheit zu leisten. Abschließend enthält das Schreiben drei persönliche Wünsche zur Frage, wie die Kirche zur Verbesserung des Lebens aller Menschen Beiträge zu leisten vermag.

„Neben medial überhitzten Streits und durch den Wettbewerb hochgepeitschten Debatten ist es aus meiner Sicht unerlässlich, dass wir ein specificum humanum im Blick behalten: den vernünftigen Diskurs, der für Verständigung und auch die praktische Einigung offen ist“, sagte Frieder Otto Wolf zu dem ersten Schreiben an Papst Franziskus. „Natürlich weiß ich heute nicht einmal, ob dem neuen Oberhaupt der katholischen Kirche meine Worte überhaupt zur Kenntnis gegeben werden. Aber ich denke, dass die globalisierte Gegenwart und einer gegenüber der europäischen Vergangenheit veränderten Präsenz von Kirchen und Religionen generell von Humanistinnen und Humanisten ein neues Selbstbewusstsein verlangen. Auch dieser Einsicht wollte ich nun erneut einen Ausdruck verleihen“, so Wolf weiter.

Briefe könnten die konkrete Arbeit, mit der sich Humanistinnen und Humanisten täglich auf Grundlage ihrer Überzeugungen für eine freie und friedliche Gesellschaft einbringen, aber nur ergänzen und vervollständigen, nicht jedoch ersetzen, unterstrich er. Und doch sei es auch im Alltag immer wieder möglich, den auch von der Kirche gewollten konkreten Dialog zu führen: Jede und jeder könne sich hier nach seinen Möglichkeiten beteiligen, schon ganz einfach im unmittelbaren Kontakt mit den Menschen vor Ort.

Frieder Otto Wolf: „Es ist gut, wenn sich Menschen direkt an die für das Gespräch offenen Mitglieder der Kirche, aber auch anderer Religionen wenden und den Austausch über die dringendsten Probleme ebenso suchen wie Chancen, trotz einzelner und teils fundamental wirkender Differenzen die Möglichkeit und den Sinn gemeinsamer Arbeit für eine bessere Welt zu finden. Die vielen, großen Herausforderungen vor denen die Menschheit und auch wir stehen, können auf die Bande zwischen allen Menschen mit Vernunft nicht verzichten.“

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