„Die historische Gelegenheit nutzen“

Am Wochenende fand in Berlin die achte Bundesversammlung des Humanistischen Verbandes Deutschlands statt. Mehr als 60 Delegierte aus zwölf Bundesländern waren am vergangenen Samstag in Berlin zusammengekommen, um über die Ergebnisse der Arbeit in den letzten Jahren und Schwerpunkte für die vorausliegenden Monate zu beraten. Die Delegierten wählten außerdem ein neues Präsidium für den Bundesverband.

Zum Auftakt der Versammlung sprach der seit 2010 amtierende und 2011 im Amt bestätigte Präsident des Bundesverbandes, Frieder Otto Wolf, allen Angehörigen des Verbandes seinen Dank und seine Hochachtung aus. Ihre gemeinsame Arbeit für das „Projekt des weltanschaulichen, praktischen Humanismus“ sei ein „wichtiges, unverzichtbares Engagement“, das sich nicht verstecken sollte: „Was wir hier machen, ist etwas Neues in der Geschichte der Menschheit“, betonte Wolf dabei und er erinnerte daran, dass die Stadt Berlin ein besonderer Versammlungsort ist. „Kaum an sonst einem Ort auf der Welt ist es möglich, als Mensch ohne Religion so frei zu leben“. Somit stünden die Humanistinnen und Humanisten hier auch in einer besonderen Verantwortung, so Wolf weiter: nicht nur für nichtreligiöse Menschen in Deutschland, sondern auch für nichtreligiöse Menschen an anderen Orten der Welt. „Sie verdienen unsere Unterstützung“, betonte er.

In seinem Bericht für die Bundesdelegiertenversammlung hob der Präsident des Bundesverbandes anschließend hervor, dass die Entwicklung des Bundesverbandes als Dachorganisation für die Gemeinschaften in den Ländern und Regionen „mit Augenmaß und Sorgfalt“ erfolgt ist, was sich in der erfolgreichen Aufnahme der Humanisten Baden-Württemberg und der Kräftigung von kleineren und jüngeren Landesverbänden gezeigt habe. Ferner konnte mit Hilfe der Arbeit auf medialer Ebene der moderne, praktische Humanismus in wichtigen Fragen zu einem Bezugspunkt der öffentlichen Debatte in Deutschland gemacht werden können. Außerdem wurde damit begonnen, das eigene weltanschauliche Profil in Positionen über die bestehenden Praxisfelder hinaus zu stärken. Er zeigte sich zuversichtlich, dass im kommenden Jahr auch das Humanistische Selbstverständnis als Dokument grundlegender gemeinsamer Orientierungen und Überzeugungen in erneuerter Form vorgestellt werden kann und dann auf breite Zustimmung trifft.

Zu den bereits angelaufenen Bemühungen, dem Bundesverband zu einer stärkeren öffentlichen Anerkennung durch den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verhelfen, sagte er: „Den ernsthaften Fragen und Problemen, welche in den letzten Monaten dazu aufgeworfen worden sind, werden wir uns sorgfältig und konsensorientiert stellen.“

Als fünften Punkt zeigte Frieder Otto Wolf auf, dass in den vergangenen Jahren eine mehrdimensionale Bündnispolitik gewachsen sei, in der es sowohl mit Konfessionsfreien-Organisationen wie auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Instanzen und kleineren Religionsgemeinschaften erfolgreiche Kooperationen gegeben hat. Zugleich sei ein kritisch-konstruktiver Dialog mit den etablierten Kirchen und staatlichen Institutionen geführt worden, um auf den Abbau von bestehenden Diskriminierungen konfessionsfreier Menschen und für die Gleichbehandlung des Humanistischen Verbandes als Weltanschauungsgemeinschaft hinzuwirken.

Frieder Otto Wolf schloss seinen Bericht mit den Worten, er könne seine frühere Feststellung, dass weltweit „dem praktischen Humanismus aufgrund einer Konstellation von ökonomischen, ökologischen und militarisierten Katastrophen gegenwärtig der Wind ins Gesicht bläst“, in zweifacher Hinsicht korrigieren: „Auch die immer noch schwachen Gegenkräfte haben sich zu konstituieren begonnen“, so Wolf, „und die internationalen Organisationen des Humanismus leisten hier einen relevanten Beitrag.“ In Deutschland und in Westeuropa eröffne sich hier „geradezu ein Fenster der Gelegenheit“. In der Verantwortung der Angehörigen des Humanistischen Verbandes liege es daher, „diese historische Gelegenheit in den nächsten Jahren zu nutzen“.

Im Mittelpunkt der Versammlung in Berlin standen die Wahlen zum neuen Präsidium des Bundesverbandes. Frieder Otto Wolf wurde bei der Wahl durch die Delegierten in seinem Amt bestätigt, ebenso wie die Vizepräsidenten Helmut Fink und Erwin Kress. Ebenfalls wieder in das Präsidium gewählt wurden Dr. Ines Scheibe, Psychologin und Leiterin einer Schwangerschaftskonfliktberatung in Berlin, für das Amt der Schatzmeisterin, sowie als Beisitzerin Ulrike von Chossy, Gründerin und Managerin der bundesweit ersten Humanistischen Grundschule.

Zu den neuen Mitgliedern des Präsidiums gehören Guido Wiesner, Bankkaufmann und seit 2012 Präsident des Humanistischen Verbandes Niedersachsen, Dr. Florian Zimmermann, Mathematiker und Vorsitzender des Humanistischen Verbandes in Hessen, Dr. Norbert Röhrl von den Humanisten Baden-Württemberg und ebenfalls Mathematiker, sowie Ulrich Tünsmeyer, Bildungsreferent beim Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg und Bundesbeauftragter für Aufklärung über destruktive Kulte (Sekten) und modernen Okkultismus. Jan Gabriel, selbstständiger IT-Berater aus Berlin, vertritt gegenüber dem Bundesverband zukünftig die Interessen der Jungen Humanistinnen und Humanisten in Deutschland. Nicht zur Wahl wieder angetreten waren Hero Janßen, Michael Niepel, Bruno Osuch und Andreas Henschel. Im Namen der Bundesdelegiertenversammlung dankte ihnen Frieder Otto Wolf deshalb für das Engagement in der vergangenen Wahlperiode.

Das Präsidium des Bundesverbandes hat durch die Wahlen zwar eine deutliche Verjüngung erfahren. Ines Scheibe betonte gegenüber der Versammlung jedoch, dass Frauen auch im neuen Präsidium zu wenig vertreten sind. Hier gebe es weiterhin deutlichen Handlungsbedarf, machte sie unter lautem Applaus durch die Delegierten klar.

Die Bundesversammlung fasste außerdem vier Beschlüsse, in denen die Vertreter des Humanistischen Verband Deutschlands ihre gemeinsame Position zu konkreten politischen und gesellschaftlichen Fragen festlegten bzw. erneuerten.

Im Zentrum steht hier der Beschluss zum Lebenskunde-Unterricht. Das Schulfach ist eine inhaltlich vom Staat unabhängige, selbstständige humanistische Alternative zu den Religionsunterrichten, die sich an Heranwachsende und Eltern ohne Religion richtet. Mit dem Beschluss bekräftigte die Bundesdelegiertenversammlung die Forderung des Humanistischen Verbandes nach der Umsetzung der vom Grundgesetz vorgeschriebenen Gleichbehandlung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in ganz Deutschland. „Dem noch in den meisten Bundesländern bestehenden Monopol der Kirchen auf Bekenntnisunterricht muss ein Weltanschauungsunterricht zur Seite gestellt werden, in dem Kinder und Jugendliche aus konfessionsfreien und humanistischen Familien ihre ethischen und moralischen Grundlagen vertiefen und reflektieren können“, heißt es im Beschluss.

Von den Delegierten beschlossen wurde außerdem nach einer Diskussion ein erster Verhaltenskodex (Code of Conduct), der zukünftig als Orientierung für das Handeln der Humanistinnen und Humanisten, die für den Verband auftreten oder besondere Verantwortung für ihn übernehmen, dienen soll. Mit dem neuen Code of Conduct werden diese unter anderem zur aktiven Beachtung von Arbeitnehmerinteressen verpflichtet, der Kodex stellt aber vor allem klare Orientierungen für das Handeln im Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften auf. „Der HVD leistet in seinem öffentlichen Auftreten einen Beitrag zum toleranten und wertschätzenden Miteinander aller Menschen in unserem Land. Er pflegt mit anderen weltanschaulichen und religiösen Organisationen und deren Repräsentanten einen – auch in der Kritik – respektvollen Dialog. Kritik an Kirchen oder Religion ist stets sachbezogen und dient allein der Verdeutlichung des eigenen Standpunkts sowie säkularer Haltungen im gesamtgesellschaftlichen Diskurs.“ Der Kodex stärkt somit das Profil des Verbandes als Weltanschauungsgemeinschaft, deren Angehörige sich auf positive Weise auf Basis von humanistischen Ideen und Überzeugungen in die Gesellschaft einbringen.

Beschlossen wurde von Delegierten außerdem eine Schiedsordnung, welche zur Regelung von möglichen Rechtsstreitigkeiten zwischen Organen und Mitgliedern des Bundesverbandes und zwischen Einzelmitgliedern, sofern diese Verbandsangelegenheiten betreffen, sowie über Beschlüsse zum Ausschluss von Mitgliedern dient.

Der bundesweit Aufsehen erregende Anschlag auf Elke Baezner, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), wurde schließlich durch einen weiteren Beschluss von den Delegierten einstimmig verurteilt. Baezner war am 18. Juni 2014 während eines Vortrages über das Schweizer Modell zur gesetzlichen Regelung der Suizidbeihilfe durch einen Anschlag mit Buttersäure verletzt worden. Zu dem Vortrag hatten DGHS und der Humanistische Verband Hessen eingeladen. Aussagen des Täters, der gefasst werden konnte, lassen darauf schließen, dass er sich der sogenannten Lebensrechts-Bewegung zuordnet. In dem am Samstag verabschiedeten Beschluss heißt es, „die Begründung des Attentäters ‚Jetzt stinkt ihr so wie eure Opfer‘, zeige deutlich, wohin die Weigerung führt, nötige gesellschaftliche Diskussionen sachlich und ohne Vorverurteilungen zu führen.“ Religiös motivierte Vorstellungen von einem gottgefälligen Sterben dürfen nicht zum Maßstab politischen Handelns gemacht werden und kein Anlass persönlicher Verfolgung sein, betont der Beschluss deshalb.

In seinem Schlusswort zur diesjährigen Bundesdelegiertenversammlung erinnerte Frieder Otto Wolf die Delegierten, „dass wir noch viel zu tun haben und weiterhin daran arbeiten müssen, aus unserer inneren Pluralität auch dauerhaft Gewinn zu ziehen.“ Gemeinsam sei man bereits auf einem guten Weg, „unsere unterschiedlichen Hintergründe und Erfahrungen im unvermeidlich auch kontroversen Austausch wirklich produktiv zu machen.“ Wolf sagte auch, dass die Vertreter des Dachverbandes für Impulse und Initiativen aus den Ländern bereit sind. „Wartet nicht darauf, dass wir an Euch herantreten, sondern sprecht uns an, wenn ihr ein bundespolitisches Anliegen habt“, so der Präsident des Humanistischen Verbandes wörtlich. Somit werde es möglich, dass man noch stärker die Millionen von Menschen erreicht, „die sich in ihrem Leben an einem modernen Humanismus orientieren, wie wir ihn – praktisch und auch diskursiv – vertreten“.

In den Gesprächen außerhalb des Rahmens der offiziellen Versammlung wurde deutlich, dass die nächsten Monaten einige spannende Entwicklungen mit sich bringen könnten. Ein Thema waren unter anderem die in England erfundenen Sonntagsversammlungen für Menschen ohne Religion. Solche Sunday Assemblies könnte es zukünftig auch in deutschen Städten geben. Das Vorhaben einer entsprechenden Zusammenarbeit in Berlin und Bayern wurden diskutiert und ist auf wohlwollendes Interesse gestoßen. Erste Gespräche mit den Vertretern habe es bereits gegeben.

Im Vordergrund sollte jedoch die Weiterentwicklung bereits etablierter Projekte stehen, so das Plädoyer von Frieder Otto Wolf. Dazu zählen eine verbesserte Förderung für kleinere Landesverbände und regionale Gemeinschaften, die Neuaufstellung der Humanistischen Akademie Deutschland und die vollständige Gleichberechtigung bei der schulischen Wertebildung oder bei der Einführung einer humanistischen Beratung von Angehörigen der Bundeswehr im Rahmen der Pluralisierung der Militärseelsorge, ebenso wie die Verstetigung der internationalen Zusammenarbeit. Wolf: „Wir haben da gegenwärtig in Deutschland große Möglichkeiten – lasst uns gemeinsam daran arbeiten, sie zu ergreifen und Wirklichkeit werden zu lassen.“

Die nächste Bundesdelegiertenversammlung wird entsprechend den Vorgaben der Satzung des Humanistischen Verbandes Deutschlands im Jahr 2017 durchgeführt.

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