Religionspolitik in deutlicher Schieflage

Humanistischer Verband: Debatte um deutsches Islamgesetz verfehlt allgemeine Herausforderung zu einer grundlegenden Erneuerung des überkommenen Staatskirchenrechts.

„Weder Sondergesetze für bestimmte Religionen noch das Klammern an den Status quo des Religionsverfassungsrechts werden den Interessen und Bedürfnissen der pluralistischen Gesellschaft in Deutschland gerecht.“ Das sagte der Präsident des Humanistischen Verband Deutschlands, Frieder Otto Wolf, am Samstagnachmittag in Berlin zu den Diskussionen über ein deutsches Pendant zu dem am vergangenen Mittwoch vom österreichischen Parlament verabschiedeten Islamgesetz. Wolf übte dabei auch deutliche Kritik an den religions- und weltanschauungspolitischen Schwerpunktsetzungen auf Bundes- und Länderebene. Diese seien einseitig und teilweise falsch ausgerichtet, so Wolf.

Die in Österreich beschlossene Neufassung des dort im Jahr 1912 erstmals in Kraft getretenen Islamgesetzes hatte dort starke Kontroversen ausgelöst. Mit der Neufassung wurden unter anderem Ansprüche auf muslimische Seelsorge beim Militär, in Gefängnissen und in Krankenhäusern festgeschrieben. Muslimische Glaubensgemeinschaften können sich zukünftig als Körperschaft des öffentlichen Rechts eintragen lassen, zudem sollen ab 2016 sechs staatlich finanzierte Hochschulprofessuren für islamische Theologie entstehen. Eingeführt wurde ferner ein Verbot der Finanzierung muslimischer Vereine aus dem Ausland, Imame müssen künftig in Österreich ausgebildet und ansässig sein, um ihren Beruf im Land ausüben zu dürfen. Islamverbände und die Opposition kritisierten das Gesetz. Auch in Deutschland stieß die Neufassung auf ein gemischtes Echo. Während Vertreter der Politik in Deutschland darauf verwiesen, dass ein solches Gesetz in Deutschland aufgrund des existierenden grundgesetzlichen Rahmens nicht erforderlich bzw. nicht zulässig ist, begrüßte der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, die neue Regelung. „Wir brauchen so eine Richtung in Deutschland, um wieder Normalität und Selbstverständlichkeit in der muslimischen Community herzustellen“, so Mazyek.

Frieder Otto Wolf sagte dazu, dass es grundsätzlich richtig und wichtig ist, in Deutschland lebenden Muslimen eine zu den Angehörigen der christlichen Religionsgemeinschaften gleichberechtigte staatliche Einbeziehung und Förderung zukommen zu lassen, insbesondere um „liberale, informierte und aufgeklärtere Glaubensverständnisse zu stärken und dadurch auch die hochvirulente Muslimenfeindlichkeit, die von Fremdenfeindlichkeit sowie Gruppen religiöser und antireligiöser Extremisten unterschiedlichster Couleur gemeinsam verursacht wird, einzudämmen.“

Er betonte ferner, dass die angemessene Antwort auf die weltanschaulich-religiöse Pluralisierung und damit verbundene gesellschaftliche Konflikte nicht radikaler Laizismus nach französischem Modell sein kann. Der freiheitliche und weltanschaulich-neutrale Staat entwickle seine Stärke am besten durch den klugen Einsatz der Möglichkeiten unter dem Leitmotiv einer kooperativen Laizität, wie Belgien und die Niederlande zeigen. Doch daran mangele es bisher weitgehend, wie die Diskussionen über das Islamgesetz nochmals deutlich gemacht hätten.

„Auch wenn ein Islamgesetz nach österreichischem Vorbild aus deutscher Sicht ziemlich absurd wäre, gehen die Vorschläge zur schlichten Ausweitung der Anwendung des überkommenen Religionsverfassungsrechts ebenfalls an den Gegebenheiten der Realität vorbei“, so Wolf weiter.

Denn zum einen besitze die islamische Religion ebenso wie andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nicht die Strukturen der Kirchen, auf die das heutige Religionsverfassungsrecht zugeschnitten ist. Beispielsweise verwies er hier darauf, „dass die Angehörigen unseres Verbandes keine formale Mitgliedschaft unter dem 14. Lebensjahr akzeptieren und Verkündigung religiöser Art nicht kennen. Und auch Muslime, Aleviten oder Buddhisten kennen nicht die Strukturen der umfassenden organisatorischen Mitgliederbindung, wie sie die christlichen Kirchen praktizieren. Somit ist es – jedenfalls im Sinne des weltanschaulich-neutralen Staates – eben einfach falsch zu verlangen, dass die nicht-christlichen Religionen und Weltanschauungen sich dem speziellen Modell der großen Kirchen anpassen müssten. Vielmehr muss ein zeitgemäßes Religionsverfassungsrecht die große Zahl an Verschiedenheiten respektieren und sich auf diese einstellen.“

Zum anderen gebe es eine wachsende Zahl von Menschen in Deutschland, die sich zu keiner Religion bekennen, sagte Wolf weiter. Diese würde jedoch weitgehend aus den einschlägigen Diskussionen um die Gestaltung der Beziehungen und Förderung der Einbindung der Religionen und Weltanschauungen ausgeschlossen. „Die deutsche Religionspolitik befindet sich nicht zuletzt deshalb in einer deutlichen Schieflage“, so Wolf. So gebe es zwar seit 2006 die Deutsche Islam Konferenz, eine dem weltanschaulich-neutralen und pluralistischen Staat angemessene Konferenz der Religionen und Weltanschauungen, die sich nicht nur auf eine einzelne Religion beschränkt, fehle hingegen. Die hier seit fast zehn Jahren von der Bundesregierung und den Islamverbänden betriebene Zuspitzung auf eine Religion sei „schädlich für eine nachhaltige allgemeine Entwicklung“, so Wolf.

Angesichts der zahlreichen offenkundigen Probleme und der Tatsache, dass rund ein Drittel der Bevölkerung in der Bundesrepublik nicht zu einer christlichen Kirche gehört, seien grundlegendere Reformen zur gleichberechtigten und nachvollziehbaren Beteiligung der unterschiedlichen Glaubensrichtungen erforderlich. „Alles andere schließt an das eklatante Versagen bei den religionspolitischen Schwerpunktsetzungen an, die wir während der vergangenen zwei Jahrzehnte beobachten mussten. Jeder ernstzunehmende Vorschlag muss hier deshalb klar machen: Nicht nur Christen, Juden und Muslime gehören zu Deutschland, sondern auch die nichtreligiösen Weltanschauungen und Weltanschauungsgemeinschaften“, betonte Frieder Otto Wolf abschließend.

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