„Hier haben wir eine wichtige Bringschuld“

Schwerpunkt Flüchtlingsaufnahme und -politik: Interview zur Jahreskonferenz der Delegierten aus den Landesverbänden.

Im Interview ruft Frieder Otto Wolf, Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands, dazu auf, sich gegen die Ausbeutung von Flüchtlingsbewegungen durch nationalistische, rassistische und fremdenfeindliche Ideologien zu wehren.

Was sind die aus Ihrer Sicht wichtigsten Ergebnisse der Delegiertenjahresversammlung?

Frieder Otto Wolf: Die Konferenz zum Bundeshauptausschuss und die Sitzung des Präsidiums waren an sich nicht besonders spektakulär, wir hatten vor allem einige entsprechend vorbereitete Fortschritte zu vollziehen. Einer besteht in dem mit einem Lernprozess und einigen Rückschlägen erarbeiteten neuen Humanistischen Selbstverständnis, das nun im Präsidium auf sehr positive Resonanz gestoßen ist. Es ist ein richtig wichtiger Erfolg für uns, dass es gelungen ist, sich nach all den Jahren, in dem das alte Humanistische Selbstverständnis als Grundsatzprogramm gedient hat, ein neues Selbstverständnis zu erarbeiten.

Ich begrüße ebenfalls sehr, dass wir es am Wochenende geschafft haben, eine substantielle Position zur Flüchtlingspolitik und -aufnahme zu erarbeiten. Denn hier gibt es eine der großen Krisen unserer Zeit, bei der wir Humanistinnen und Humanisten herausgefordert sind, nicht nur klar Position zu beziehen, sondern uns auch politisch und in der konkreten Hilfe einzubringen.

Der diesjährige Bundeshauptausschuss hat schließlich wieder gezeigt, dass wir in der Lage sind, uns zu den großen Fragen der Gegenwart profiliert zu verhalten und entsprechende Perspektiven humanistischer Praxis zu entwickeln und zu stärken. Dies unterstreicht, dass unser Verband, dort wo er tatsächlich praktischen Humanismus verfolgt, in der Lage ist, seine Positionen zeitgenössisch relevant und zugespitzt auszuarbeiten.

Wann ist denn mit der Verabschiedung des neuen Selbstverständnisses zu rechnen?

Ich rechne mit einem Annahmebeschluss auf einer der nächsten Präsidiumssitzungen, womit der Diskussionsprozess dann zu einem vorläufigen Abschluss kommt. Dieser Diskussionsprozess war notwendig und wichtig, denn Humanismus, wie wir ihn verstehen, lässt sich nicht zeitlos formulieren, sondern ist immer in den jeweiligen Auseinandersetzungen der Gegenwart herauszuarbeiten. Die Annahme des neuen Selbstverständnisses als Grundsatzprogramm durch das Präsidium hebt aber das alte als eine historische Gegebenheit nicht auf. Dies ist erst der Fall, wenn es auf der nächsten Bundesdelegiertenkonferenz beschlossen wird.

Die große Zahl von Schutzsuchenden beschäftigt immer mehr Menschen. Können Sie skizzieren, wodurch eine spezifisch nichtreligiöse humanistische Position in der Flüchtlingspolitik gekennzeichnet ist?

Flüchtlingspolitik gehört zu den großen Fragen der Zeit. Zu den Ursachen zählen polarisierende wirtschaftliche Entwicklungen und Polarisierungen in Zonen der Sicherheit und der Unsicherheit, gerade auch in der europäischen Nachbarschaft, also im Mittelmeerraum und in Afrika. Diese treiben immer mehr Menschen aus ihren Heimatländern heraus, wo das Leben als unerträglich und bedrohlich empfunden wird. Das ist zunächst eine Tatsache, der sich die Flüchtlingspolitik stellen muss. Bei der Formulierung von Minimalstandards humaner Forderungen lässt sich die Feststellung des  am Ende des Zweiten Weltkriegs gegründeten Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR heranziehen: wir haben derzeit eine der größten – wenn nicht die größte – Flüchtlingswelle seit damals. Hier müssen wir als Humanistinnen und Humanisten also klar Position beziehen gegen alle Versuche, diese Probleme mit  nationalistischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Ideologien auszubeuten. Auch wenn es dabei Belastungen zu bewältigen gibt, müssen wir gegenüber solchen Versuchen klarmachen, dass das humanistische Gebot der Inklusion aller, die Menschen sind und Hilfe brauchen, einfach gilt und umgesetzt werden muss. Wenn die schlimme Situation in den Heimatländern der Schutzsuchenden – wie Bürgerkrieg oder der Zusammenbruch staatlicher und öffentlicher Strukturen – überwunden wird, werden einige auch gerne zurückkehren, viele werden wir aber auch als Einwanderungsland dauerhaft begrüßen und als Bereicherung erleben können.

Als Humanistinnen und Humanisten sind wir da einerseits einig mit vielen religiösen Initiativen, die hier zum Teil schon lange tätig sind, dass das Menschenrecht auf Aufnahme tatsächlich zu gewährleisten ist und alle Versuche, Menschen von der Flucht abzuschrecken, nicht akzeptabel sind.

Ganz spezifisch können wir hier aber einbringen, dass viele Schutzsuchende ihre Heimatländer auch deshalb verlassen, weil sie aus weltanschaulichen Gründen verfolgt und ausgegrenzt werden. Dies wird auch seitens der deutschen Aufnahme- und Solidaritätsstrukturen oft übergangen. Das müssen wir ändern, denn hier haben wir als nichtreligiöse Humanistinnen und Humanisten eine wichtige Bringschuld.

Nach der Erdbeben-Katastrophe im Himalaya hatte das Humanistische Hilfswerk zu Spenden aufgerufen. Auf welche Resonanz ist der Aufruf bisher gestoßen?

Der jüngste Aufruf ist auf eine erfreuliche Resonanz gestoßen. Und ich bin auch der Überzeugung, dass das Humanistische Hilfswerk in Zukunft eine noch aktivere Rolle spielen wird. Dazu wurde von Seiten einiger Landesverbände ein Engagement vorbereitet und angekündigt, denn es ist klar, dass es in diesem Bereich viel zu tun gibt und die Spendenbereitschaft von konfessionsfreien Menschen nicht mit religiösen Zumutungen und Auflagen verbunden sein darf, wie dies bei diversen großen Hilfsorganisationen der Fall ist. So ein Anfang ist natürlich immer mit einigen Mühen verbunden, aber ich bin mir sich, dass diese sich auf lange Sicht lohnen werden.

Wir hatten ja schon in der Vergangenheit einige Projekte gefördert, wie unter anderem mit der Patenschaft für ein indisches Dalit-Dorf. Wir werden nun aber weiter in den Bereich der konkreten Unterstützung bis hin zur Entwicklungshilfe vorstoßen, auch um entsprechende Förderungen in Anspruch nehmen zu können.

Wie blicken Sie auf den aktuellen Streit für eine Interessenvertretung von Konfessionsfreien im ZDF-Fernsehrat?

Ich habe bei dem Streit den Eindruck, dass es hier eigentlich schon eine Öffnung geben sollte, diese aber aus großkoalitionären Erwägungen nicht vollzogen worden ist. Ich bedaure sehr, dass sich auf Seiten der Sozialdemokratie bisher keine Vertreterinnen bzw. Vertreter gefunden haben, die den Mut hatten, für diese Öffnung auch eine Auseinandersetzung zu riskieren.

In den vergangenen Jahren hatte der Humanistische Verband diverse Projekte zu bundespolitisch relevanten Themen initiiert und ins Rollen gebracht, wie etwa die Bündnisse zu den Themen sexuelle Selbstbestimmung und Selbstbestimmung am Lebensende. Sind in den nächsten Monaten weitere Initiativen zu erwarten?

Im Vordergrund steht zunächst, die laufenden Projekte weiterzuführen.

Was werden Arbeitsschwerpunkte des Bundesverbandes neben der Konfessionsfreien-Gleichstellung und Religionspolitik sein?

Ich denke, eine andere Sache, die sich entwickelt ist die, dass wir zunehmend gefragt werden, uns zu religionspolitischen Themen und Debatte zu äußern. Dies gibt es vor allem auf Seiten der Linken, also bei den Bündnisgrünen, bei der Linkspartei und der SPD. Hier sind nicht mehr nur die Stimmen von religionslosen Menschen im weitesten Sinne gefragt, sondern gerade auch solche, die den praktischen Humanismus mit gleichem Anspruch religionspolitisch ins Spiel bringen können. Hier gab es in den vergangenen Monaten wiederholt zahlreiche Gelegenheiten und diese wird es auch in den nächsten Jahren geben.

Und noch ein weiteres wichtiges und gesellschaftlich kritisches Thema werden wir in Zukunft in den Mittelpunkt rücken müssen: Arbeit und den Ausschluss von Arbeit. Hier gibt es einerseits den Bedarf für einen stärkeren Dialog mit den gewerkschaftlichen Positionen, aber auch mit den vielen – häufig jüngeren – Menschen, die sich zunehmend in prekären Beschäftigungsverhältnissen zurechtzufinden gezwungen sind, sowie den Frauen, die immer noch ganz oft als Frauen in den Strukturen der Arbeitswelt benachteiligt und ausgegrenzt werden.

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