„Gleiche Pflichten, gleiche Rechte“

Für den Abbau der „gläsernen Wände“: Humanistischer Verband Deutschlands veröffentlicht erstmals Bericht zur systematischen Benachteiligung nichtreligiöser Menschen.

„Konfessionsfreie in der Bundesrepublik müssen sich in vielfacher Hinsicht als Bürger zweiter Klasse sehen.“ Das hat heute der Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands anlässlich der Veröffentlichung des Berichts „Gläserne Wände“ gesagt. Der neue Bericht zur Benachteiligung konfessionsfreier und nichtreligiöser Menschen in Deutschland wurde am Donnerstag im Rahmen einer Pressekonferenz in Berlin offiziell vorgestellt. Die kompakte Broschüre dokumentiert erstmals zusammenfassend, wie Menschen ohne religiöses Bekenntnis in zahlreichen Bereichen durch Gesetzgebung und Politik schlechter gestellt werden als die Angehörigen von Konfessionen.

Michael Bauer, geschäftsführender Vorstand des Humanistischen Verbandes in Bayern und einer der Autoren des Berichts, zeigte auf der Pressekonferenz anhand zahlreicher Themen und Beispiele auf, wie vielfältig und mitunter gravierend die Formen struktureller Diskriminierung in der Bundesrepublik wirken: für Arbeitnehmer aufgrund des kirchlichen Arbeitsrechts, für Erziehungsberechtigte aufgrund monopolartiger Verbreitung von Kindertagesstätten in kirchlicher Trägerschaft, oder für Eltern und Schüler, da philosophisch und wertebildende Alternativen zu den unterschiedlichen Religionsunterrichten fehlen. Weitere Aspekte waren der konsequente Ausschluss von der Einbeziehung in Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die unzureichende weltanschauliche Neutralität von gesetzlichen Normen sowie der seitens der Bundesregierung bislang verweigerte offizielle Dialog mit Vertretern nichtreligiöser Lebensauffassungen.

Bauer betonte, dass die bisherige Praxis in Gesetzgebung und Rechtsprechung den Vorgaben des Grundgesetzes, welches sowohl die Gleichbehandlung konfessionsgebundener und konfessionsfreier Bürger verlangt wie auch die Gleichbehandlung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, widerspricht. Zudem würden bestimmte Gesetze den Menschen ohne ein religiöses Bekenntnis auf dem Papier zwar oftmals gleiche Rechte zugestehen, praktisch hingegen könnten diese ihre Rechte hingegen oft nicht wirklich wahrnehmen.

„Die Unmöglichkeit für konfessionsfreie Bürger, ein bestimmtes Recht oder eine Möglichkeit ebenso wie konfessionsgebundene Bürger wirklich wahrnehmen zu können, rührt vielfach daher, dass die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen und politischen Strukturen sich oftmals am Muster der christlichen ‚Kirche‘ orientieren. Doch weder andere Religionen noch konfessionsfreie und nichtreligiöse Menschen kennen die Formen der massenhaften formellen Vergemeinschaftung wie die der Kirchen“, so Bauer. Ein weltanschaulich neutraler Staat und eine weltanschaulich neutrale Politik dürfen konfessionsfreien Bürgern jedoch nicht vorschreiben oder abverlangen, sich wie Kirchen zu organisieren, um Gleichberechtigung und gleichberechtigte Einbeziehung zu erreichen. Jedoch sei dies bis heute vielfach der Fall, so Bauer.

„Gesetzgebung und Politik müssen endlich nachvollziehbar und offen gegenüber dem wachsenden Teil kirchenferner und nichtreligiöser Menschen in der deutschen Bevölkerung zu handeln beginnen“, sagte der Präsident des Humanistischen Verbandes, Frieder Otto Wolf, bei der Vorstellung des Berichts in Berlin weiter. Es sei daher keinesfalls ausreichend, wenn sich die Bundes- und Landespolitik wie bisher zunehmend und teils höchst engagiert auf die Einbeziehung, Beteiligung und Gleichberechtigung von Bürgern muslimischen Glaubens fokussiere. „Einseitige politische und gesetzliche Entwicklungen oder Reformen zu einer Art Kartell der Religionsgemeinschaften, wie sie zunehmend deutlich sichtbarer sind, widersprechen nicht nur den im Grundgesetz enthaltenen Geboten zur Gleichbehandlung. Sie zeugen auch von mangelndem Respekt und fehlender Wertschätzung für die unzähligen wertvollen Beiträge nichtreligiöser Menschen zur pluralistischen Gesellschaft und ihrem Zusammenhalt“, so Wolf. Auch in Bezug zu den rund 25 Millionen Menschen ohne Zugehörigkeit zu einer religiösen Glaubensrichtung in der Bundesrepublik müsse konsequent der schlichte Grundsatz umgesetzt werden: „Gleiche Pflichten, gleiche Rechte“.

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Der Bericht „Gläserne Wände“ zur Benachteiligung nichtreligiöser Menschen in Deutschland wurde anlässlich der noch bis zum 30. November 2015 laufenden Umfrage „Diskriminierung in Deutschland 2015“ der Antidiskriminierungsstelle des Bundes veröffentlicht und kann online als kostenfreies PDF bezogen werden auf:

www.glaeserne-waende.de

Auf der Website kann der Bericht auch als gedruckte Broschüre zum Preis von 7 € zzgl. Versandkosten bestellt werden. Die Website bietet zudem diverse O-Töne Betroffener und eine Meldestelle für Benachteiligungserlebnisse.

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