„Frauen müssen selbst zum neuen politischen Subjekt werden“

Am 8. März wird in vielen Ländern weltweit der Internationale Frauentag begangen – doch längst nicht als ein Feiertag. Denn viele Forderungen der Frauenrechtsbewegung sind bis heute unerfüllt geblieben.

Im Interview erklärt Ines Scheibe, Leiterin einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle in Berlin und Vorstandsmitglied im Präsidium des Humanistischen Verbandes Deutschlands, warum sie sich dafür einsetzt, den 8. März wieder neu mit politischem Bewusstsein zu füllen. Dabei betont sie, dass es auch in Deutschland für Frauen und Mädchen immer noch viele gute Gründe gibt, für die Forderungen nach Gleichberechtigung und einem selbstbestimmten Leben aktiv zu werden – nicht zuletzt, um bereits erkämpfte Errungenschaften gegenüber dem europaweit zu beobachtenden Rechtsruck zu verteidigen.

Feminismus ist ein Begriff, mit dem sich Frauen ganz unterschiedlich stark identifizieren. Was meinen Sie, wenn Sie sich als Feministin bezeichnen?

Dr. Ines P. Scheibe: Der Begriff Feminismus hat viele Facetten und es gab und gibt sehr verschiedene Feminismen und ganz verschiedene feministische Theorien, die unter anderem die Soziologin und Historikerin Gisela Notz in ihrem 2011 erschienenen Buch Feminismus analysierte. Da gibt es etwa unter anderem den radikalen und liberalen Feminismus, den schwarzen, den linken, den lesbischen, den islamischen und den neuen Feminismus, den Ökofeminismus, Postfeminismus, Cyberfeminismus, Queerfeminismus und auch den konservativen Feminismus. Gemeinsam ist ihnen die Ungleichheit, die Diskriminierung des weiblichen Geschlechts wahrzunehmen und Handlungsstrategien zu entwickeln, um sie zu überwinden, wobei die Frauen* Akteurinnen und Handelnde sind. Unterschiede gab und gibt es in der Auffassung, ob und inwieweit eine wirkliche Gleichstellung der Menschen eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse erfordert.

* = Mit dem Stern bei Frauen*, Humanist*innen, Ärzt*innen, etc. sollen explizit alle Geschlechter und Geschlechtsidentitäten eingeschlossen werden.

Und wo oder wie identifizieren Sie sich persönlich in dem eben genannten Spektrum?

Ich bin Humanistin und verstehe mich als sozialistische oder linke Feministin. Meine Überzeugung ist, dass die patriarchalen und kapitalistischen Verhältnisse einer grundlegenden Veränderung bedürfen, damit alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, der sexuellen Orientierung, dem sozialen Stand und der ethnischen Herkunft wirklich frei, selbstbestimmt, ohne Ausbeutung, Entmündigung und Unterdrückung im Einklang mit der Natur leben können.

Und diese Verhältnisse müssen sich die Menschen selbst schaffen. Es ist ihre Verantwortung, um ihre Lebensperspektive und die der gesamten Erde für weitere tausende Jahre zu sichern. Ich bin davon überzeugt, dass immer mehr Menschen die Einsicht und Fähigkeit dazu haben oder entwickeln werden. Sie werden sich früher oder später dieser Aufgabe stellen.

Gegenüber spezifisch feministischen Ansätzen sind die gesellschaftlichen Haltungen aber auch heute recht zwiespältig.

Es ist richtig, dass die Haltung vieler Menschen in unserer Gesellschaft, von Männern und Frauen* zum Feminismus heute noch oder wieder eher kritisch ist. Ein großer Teil der Mädchen und jungen Frauen* in Deutschland ist der Überzeugung, dass sie hier bereits gleichberechtigt, emanzipiert leben. Sie haben Zugang zu guter Bildung, können sich politisch und ehrenamtlich betätigen, dürfen wählen und fast alle Berufe stehen ihnen offen.

Erst wenn sie in die Familienphase eintreten, wird ihnen deutlich, welche großen Unterschiede noch zwischen den Geschlechtern bei den beruflichen Aufstiegschancen, bei der Entlohnung der Arbeit und bei den politischen und ehrenamtlichen Betätigungen existieren. Schlechtere Entlohnung, Mehrbelastungen durch Haus- und Familienarbeit, geringere Möglichkeiten, politische Verantwortung zu übernehmen und der zunehmende Sexismus und Rassismus in der Gesellschaft sowie die Kriminalisierung von Frauen, die ungewollt schwanger wurden und sich gegen das Austragen der Schwangerschaft entscheiden, sind immer noch oder wieder Alltag.

Und die existenziellen, die körperlichen und psychischen Probleme der geflüchteten Mädchen und Frauen*, die jetzt zu uns kommen, sind ein besonders gravierendes Resultat der bisherigen männerdominierten Politik, besonders in den USA und Europa.

Eine Kernforderung der Frauenrechtsbewegung vor 100 Jahren war das allgemeine Wahlrecht. Dieses Ziel wurde erreicht. Weitere Kernforderungen sind gleicher Lohn für gleiche Arbeit, ausreichend gesetzlicher Arbeiterinnenschutz, gleiche Bildungsmöglichkeiten und ausreichende Einrichtungen für die Unterstützung von Frauen mit Kindern, die Abschaffung des strafrechtlichen Paragraphen 218 sowie die volle rechtliche und politische Gleichstellung – wie beurteilen Sie die Entwicklungen in diesen Bereichen?

Ja, einiges wurde schon erreicht für die Frauen. Wir haben in Deutschland bereits seit November 1918 das allgemeine Wahlrecht für Frauen. An der ersten Wahl für Frauen beteiligten sich 82 Prozent der wahlberechtigten Bürgerinnen – eine Quote, die ich mir bei aktuellen Wahlen auch sehr wünsche! Sehr selbstverständlich sind heute auch gleiche Bildungsmöglichkeiten für Jungen und Mädchen, mit Zugang zu Universitäten und Hochschulen. Immer mehr Kinderbetreuungseinrichtungen und professionelle Pflegeeinrichtungen ermöglichen es Frauen, erwerbstätig und damit wirtschaftlich selbstständig zu sein. Eine sehr erfreuliche Entwicklung –  gäbe es nicht in den pflegenden, betreuenden und sozialen Berufen sowie in vielen Dienstleistungsbereichen, in denen vorwiegend Frauen berufstätig sind, sehr schlechte Bezahlungen. Nach wie vor weist die Entlohnung von Männern und Frauen in Deutschland sehr starke Unterschiede auf.

Diesem Missstand widmet sich jährlich der internationale „Equal Pay Day“. In diesem Jahr wird er am 19. März 2016 begangen. Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamts verdienten Frauen im Jahr 2014 durchschnittlich 21,6 Prozent weniger als Männer. Rechnet man den Prozentwert in Tage um, arbeiten Frauen 79 Tage, also vom 1. Januar bis zum 19. März 2016, umsonst. Um diesen Skandal ins gesellschaftliche Bewusstsein zu rücken, finden in vielen Regionen jährlich die Equal Pay Days statt. In diesem Jahr gibt es auch eine Kampagne, die von der Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) unterstützt wird.

Ein großer Schritt für die weltweite Sicherung von Frauenrechten war am 18. Dezember 1979 die Verabschiedung der „Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women“ (CEDAW, das „Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“) durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen. Bisher wurde diese Frauenrechtskonvention von 186 Staaten ratifiziert, auch von allen europäischen Staaten, bis auf den Vatikanstaat. In dem Dokument werden Standards zur Bekämpfung der Frauendiskriminierung in den Bereichen Kultur, Soziales, Bildung, Politik und Gesetzgebung festgesetzt und nun regelmäßig analysiert. Im Hinblick auf die Anerkennung der Frauenrechte als Menschenrechte wurde mit der Frauenrechtskonvention international ein großer Schritt vorwärts vollzogen. Diese Übereinkunft wurde sowohl 1994 auf der Kairoer Weltbevölkerungskonferenz sowie ein Jahr später auf der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking mit dem Gender-Mainstreaming-Ansatz inhaltlich weiterentwickelt.

Es gibt in Deutschland und anderen europäischen Ländern aber auch wieder einflussreiche aktive Bewegungen, die die Errungenschaften des frauenrechtlichen Status quo offen angreifen.

Was das Recht auf selbstbestimmte Familienplanung und reproduktive Gesundheit von Mädchen und Frauen in Deutschland angeht, muss ich leider feststellen, dass es hier noch sehr viel zu tun gibt.

Der gesellschaftliche Druck auf betroffene Frauen, auf Ärzt*innen und Beratungseinrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche nach der gesetzlichen Regelung ermöglichen, ihre Stigmatisierung und Kriminalisierung wird in den letzten Jahren in Deutschland und Europa immer stärker. Erstmals fordern wieder führende Politiker der Alternative für Deutschland (AfD) ein allgemeines Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen und werden dabei unterstützt von fundamentalistischen Katholiken und Evangelikalen, die international vernetzt sind.

Ich habe den Eindruck, dass wir uns bei dieser sehr grundlegenden Frage für Frauen und ihr Leben seit 25 Jahren im Rückwärtsgang befinden. In der DDR beschloss die Volkskammer bereits 1972 das Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft. Diese auf deutschem Boden einmalige Regelung zum Schwangerschaftsabbruch stellte eine Abkehr von der zuvor geltenden indikationsbasierten Regelung dar. Mit dieser Fristenregelung war eine grundlegende Neufassung der Gesetzeslage gegeben. Frauen erhielten erstmals auf deutschem Boden das Recht, innerhalb von zwölf Wochen nach dem Beginn einer Schwangerschaft über deren Abbruch eigenverantwortlich zu entscheiden und schwangerschaftsverhütende Methoden und Mittel kostenfrei zu erhalten. Dies war die Erfüllung einer sehr wichtigen und lange bestehenden frauenpolitischen Forderung, die leider mit der deutschen Einigung, dem Inkrafttreten des Paragraphen 218 im Strafgesetzbuch (StGB) und der 1993 im Schwangerschaftskonfliktgesetz eingeführten Beratungspflicht bei ungewollten Schwangerschaften der Vergangenheit angehörte – bis heute.

Ist es eigentlich leicht, in der jetzigen Zeit Menschen für die Ideen und Ziele der Frauenrechtsbewegung zu aktivieren?

Nein, eine leichte Sache ist das wirklich nicht, Menschen heute für Frauen*rechte zu interessieren und zu mobilisieren. Es gibt so viele existentielle Probleme bei Männern und Frauen, wie beispielsweise prekäre Beschäftigungen, Arbeitslosigkeit, das Fehlen bezahlbarer Wohnungen sowie vielfältige politische und gesellschaftliche Herausforderungen als auch die dringenden Fragen des Klimaschutzes, der gesunden Ernährung und Lebensweise, der solidarischen Hilfe für die vielen Menschen, die aus ihren Ländern flüchten müssen.

Aufgrund dessen scheint das Problem des weiteren Ausbaus von Frauenrechten für alle in Deutschland lebenden Mädchen und Frauen etwas in den Hintergrund zu geraten. Außerdem gibt es ja, wie gesagt, die Tendenz, dass viele Menschen meinen, in Deutschland ist alles schon recht gut für Frauen und Mädchen geregelt, da gebe es nichts mehr zu tun. Doch bei sehr jungen Frauen und Männern entwickelt sich aus der allgemeinen Unzufriedenheit mit den gesellschaftlichen Verhältnissen wieder ein politisches Interesse und auch Initiative für politische Arbeit. Das freut mich sehr.

Ein sehr schönes Beispiel dafür sind die Aufrufe zum Frauen*kampftag in Berlin von einem breiten Bündnis aus Jugendorganisationen, Frauen- und Jugendinitiativen, die seit drei Jahren zum Internationalen Frauentag erfolgen. In diesem Jahr beginnt am Sonntag, den 6. März, ab 13 Uhr eine Demonstration auf dem Rosa-Luxemburg-Platz. Die Teilnehmenden, darunter hoffentlich viele Humanist*innen und JuHus, positionieren sich gegen Ausbeutung und die Diskriminierung von Frauen, gegen Sexismus und Gewalt an Frauen, gegen Krieg, Aufrüstung und Militarisierung, gegen Verfolgung und Vertreibung. Sie solidarisieren sich mit den geflüchteten Menschen und wenden sich gegen die Instrumentalisierung von Frauen*rechten für rassistische Hetze, treten für ein selbstbestimmtes Leben und für körperliche Unversehrtheit und sexuelle Selbstbestimmung aller Mädchen und Frauen ein.

Und ähnlich verhält es sich bei den durch das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung in den letzten Jahren organisierten Aktionen, bei der Tagung zum Paragraphen 218 StGB am 7. März 2015 und den jährlichen Protesten gegen den von sogenannten Lebensschützern in Berlin organisierten „Marsch für das Leben“.

Wenn man nach Simone de Beauvoir die emanzipierte Frau als ein Wesen begreift, welches sich durch Aktivität als freies Subjekt selbst zu entwerfen verlangt, worin sollten in Ihren Augen dann heute die Hauptziele der Frauenrechtsbewegung in Deutschland bestehen?

Frauen, so erkannte es unter anderem auch Simone de Beauvoir, müssen selbst zum neuen politischen Subjekt werden. Nur so können Veränderungen in den persönlichen Beziehungen, in der Sexualität und in den gesellschaftlichen Rollen von Mädchen und Frauen erreicht werden. In der zweiten Frauenbewegung in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ging es dabei um neue Beziehungsformen – basisdemokratische Politikformen, der Abbau von Hierarchien, um sinnvolle Inhalte im Erwerbsleben, in den vielfältigen Formen des individuellen Zusammenlebens, in der Politik und der Gesellschaft. Frauen erreichten sehr viel für ihre Emanzipation und Gleichstellung. Heute geht es darum, dies zu sichern. Zunehmendes konservatives Denken, stärker werdende fundamentalistische christliche Positionen sowie unreflektierte politische Entscheidungen stellen das gesellschaftlich Erreichte, die Bereicherung der Gesellschaft durch weibliche Perspektiven und Instrumentarien, immer mehr in Frage.

Wir haben zwar seit einigen Jahren eine Bundeskanzlerin, doch dies sollte uns nicht täuschen. Es gibt noch sehr vieles in Richtung wirklicher Gleichstellung der Menschen – der Geschlechter, der Ethnien, unabhängig von Herkunft und individueller Besonderheiten –, hinsichtlich der ökonomischen, sozialen und politischen Gleichheit zu tun. Aktuell gibt es durch die Bewegung der flüchtenden Menschen sehr gute Chancen, dies zu erkennen und neue gesellschaftsverändernde Potenziale zu entwickeln. Dies passiert nicht automatisch, birgt auch Gefahren des Rückschritts. Aufklärung und dabei die Aufdeckung der komplexen gesellschaftlichen Zusammenhänge von Ursachen und Wirkungen der mit der Globalisierung der kapitalistischen Produktion und der Konzentration des internationalen Finanzkapitals verbundenen ökonomischen, ökologischen, sozialen, ethnischen und Gleichstellungsprobleme sind dringend erforderlich. Als Humanist*innen müssen wir dazu einen Beitrag leisten.

Warum ist für Sie gerade der Internationale Frauentag ein Ereignis, dem humanistische Ideen und Anliegen zugrunde liegen?

Der Internationale Frauentag oder Weltfrauentag, den wir heute jährlich am 8. März begehen, geht auf die Initiative der Sozialistinnen, Friedensaktivistinnen und Frauenrechtlerinnen Clara Zetkin und Käthe Duncker zurück. Im Jahr 1911 wurden, unterstützt von Sozialdemokraten und Gewerkschaften, deutschlandweit erstmals „Volksversammlungen“ mit der wichtigen Forderung des Frauenwahlrechtes durchgeführt. In Berlin sollen sich damals 45.000 Frauen beteiligt haben.

Im Jahr 1977 rief die UN-Generalversammlung in einer Resolution diesen Tag als „Tag für die Rechte der Frau und den Weltfrieden“ aus. Die jährlich stattfindenden Veranstaltungen stehen seither unter wechselnden Schwerpunktthemen. Frauen auf der ganzen Welt machen am 8. März mit Veranstaltungen, Feiern und Demonstrationen auf die noch immer nicht verwirklichten Frauenrechte aufmerksam. Und, da es da national und international noch oder wieder viel zu tun gibt hinsichtlich der humanistischen Forderung nach wirklicher Gleichstellung der Geschlechter in der zuvor beschriebenen Weise, ist es sicher nicht verwunderlich, wenn dieser Tag, der 8. März, für mich als Humanistin und linke Feministin eine große Bedeutung hat. In diesem Jahr vor allem als Frauen- und Weltfriedenstag. Doch als ebenso wichtig empfinde ich den Tag der Menschenrechte am 10. Dezember jeden Jahres und den 21. Juni als Welthumanist*innentag.

Während die katholische Kirche seit jeher ein Ziel feministischer Kritik ist, wurde der europäischen Linken – und das schließt die Frauenrechtsbewegung ein – in den letzten Jahren von diversen Autorinnen und Autoren vorgeworfen, gegenüber Sexismus und sexueller Gewalt mit muslimischen Wurzeln eine falsche politische Korrektheit an den Tag zu legen. Stimmen Sie dem zu?

Die europäische Linke und die von ihr unterstützte Frauenrechtsbewegung bestehen aus sehr vielen unterschiedlichen Menschen mit individuellen Haltungen. Übereinstimmend ist jedoch ihre klare Position zu gesellschaftlichen Ursachen und konsequente Ablehnung jeglicher Äußerungsformen von Rassismus und religiösem Fanatismus. Auch jede Form von Sexismus und sexuelle Gewalt wird von Linken und von linken Feminist*innen kritisiert, unabhängig, ob sie ihre Wurzeln in fundamentalistischen christlichen oder islamistischen Ideen haben. Vergewaltigungen als Kriegsmethode werden von ihnen ebenso angeprangert und abgelehnt wie Gewalt gegen Frauen am Arbeits- und Ausbildungsplatz, in der häuslichen Umgebung, im öffentlichen Raum und in den Medien.

Allerdings wird von Linken der Instrumentalisierung von Frauen*rechten für rassistische Hetze, wie es unter anderem in Köln und anderen Städten nach den Übergriffen auf Frauen versucht wurde, energisch entgegengetreten. Der sich in den letzten Jahren in Europa ausbreitenden homophoben, antisemitischen, radikal freiheits-, gleichheits-, demokratie- und frauenfeindlichen Ideologie wurde und wird von Linken und von Humanist*innen von Beginn an konsequent widersprochen. Es stimmt also aus meiner Sicht nicht, dass die Linken zu lange tatenlos zusahen.

Dies müssen sich andere Kräfte sagen lassen und vor allem die, die sich gern als die Mitte der Gesellschaft bezeichnen. Mit ihrer Tradition der Gesellschafts-, Ideologie- und Religionskritik hat die europäische Linke bereits seit der Aufklärung ein wesentliches Element der normativen und praktischen Emanzipations- und Freiheitsbewegung.

Wenn Linken und linken Feministinnen unterstellt wird, dass sie zu oft aus Gründen der politischen Korrektheit zu unkritisch gegenüber der wachsenden islamistischen Gewalt wären, so ist dies nicht richtig. Es gibt auch eine Auseinandersetzung mit dem Islam als Religion, mit der Entwicklung von religiösem Fanatismus, Gewalt und Radikalisierung bei Migrant*innen und deren Ursachen, die leider in der Vergangenheit politisch zu wenig Gehör fanden. Jetzt ist die Chance, aus den alten Fehlern zu lernen, neue Ansätze der Forschung zu Diversity, Gender und Inklusion für politisches und gesellschaftliches Handeln zu nutzen. Wir können neue positive Erfahrungen machen.

Im Präsidium des Humanistischen Verbandes selbst finden sich lediglich zwei Frauen, und keine davon an der – mehr oder weniger eher formal bedeutsamen – Spitze. Wie erklären Sie das?

Wie bei vielen Organisationen ist es auch beim Humanistischen Verband so, dass die Strukturen und die organisationsspezifische Kultur entgegen den im Humanistischen Selbstverständnis verkündeten Werten der Geschlechtergleichstellung noch sehr traditionell-männerdominiert geprägt sind. Es wird auf allen verbandpolitischen Ebenen zu wenig Mühe gemacht, Humanist*innen für ehrenamtliche Leitungsaufgaben zu interessieren, zu motivieren und das Potenzial von starken weiblichen Interessenvertreter*innen für Neuerungen, Modernisierungen in der Verbandskultur zu nutzen. Das Ergebnis ist, dass Humanistinnen in der Minderheit sind und sie sich der männerdominierten Kultur widersetzen, solange sie dazu die Kraft und Lust haben. Ihre Leidensfähigkeit ist allerdings häufig begrenzt, und wenn dann die Überzeugung wächst, zu wenig zu bewirken, zu verändern, ziehen sie sich enttäuscht zurück.

In einer ganzen Reihe von Ländern ist der 8. März ein gesetzlicher Feiertag. Sollte der Tag auch in Deutschland ein gesetzlicher Feiertag sein?

Der 8. März wäre aus meiner Sicht ein sehr geeigneter Feiertag für Deutschland, solange es noch so viele fortbestehende Gleichberechtigungsdefizite gibt. Dieser Feiertag wäre von hoher symbolischer Bedeutung. Es wäre neben dem 1. Mai ein weiterer moderner Feiertag ohne einen religiösen Hintergrund, und er würde ein deutliches frauenpolitisches Signal setzen. Es wäre auch eine Anerkennung alter sozialistischer und gewerkschaftlicher Intentionen. Gern würde ich dafür auf einen der religiös geprägten Feiertage wie Christi Himmelfahrt oder Karfreitag verzichten. Vielleicht wäre das mal eine Aufgabe für die Umsetzung einer rot-rot-grünen Regierung.

Solange dies noch nicht so ist, führen wir auch in diesem Jahr unsere Demonstrationen mit frauenpolitischen Forderungen am arbeitsfreien Sonntag vor dem Weltfrauentag am 8. März durch. Ich hoffe sehr auf eine gute Beteiligung durch alle Humanist*innen!

Die Fragen stellte Arik Platzek.

Für den kommenden Sonntag, dem 6. März 2016, rufen im Rahmen des Frauen*kampftages in Berlin und weiteren Städten Deutschlands politische, gewerkschaftliche und andere zivilgesellschaftliche Organisationen zu Demonstrationen und Kundgebungen auf. Sie wollen damit die Forderungen nach Gleichberechtigung und Gewährleistung von rechtlicher, sozialer und sexueller Selbstbestimmung für Frauen erneut auf die Straße tragen. Mehr Informationen über die diesjährigen Bündnisveranstaltungen gibt es unter www.frauenkampftag.de

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