Dieses Gesetz schützt nicht, es knebelt

Bündnis für Selbstbestimmung bis zum Lebensende erneuert Forderung nach der Aufhebung von Suizidhilfe-Verbot. HVD-Vizepräsident Erwin Kress bezeichnet § 217 StGB als „schreckliche Fessel“.

„Unverhältnismäßig, schlecht begründet, unnötig“ – Mit diesen Worten hat das Bündnis für Selbstbestimmung bis zum Lebensende Zwischenbilanz zum neuen Suizidhilfe-Verbot gezogen. In einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung zum § 217 StGB heißt es, die Regelung beraube „ernsthaft zur Leidensverkürzung durch Freitod entschlossene Menschen nahezu jeder professionellen Hilfe. Damit werden Ängste vor dem Sterbeprozess nicht abgebaut, sondern im Gegenteil werden unkontrollierbare, verzweifelte, Dritte gefährdende Freitodversuche noch zunehmen.“ Weiter heißt es, das Gesetz sei unverhältnismäßig strikt sowie aufgrund der für alle Beteiligten geschaffenen Rechtsunsicherheit mit dem verfassungsmäßigen Bestimmtheitsgebot unvereinbar.

Der am 6. November 2015 von einer Bundestagsmehrheit erlassene § 217 StGB belegt die „geschäftsmäßige Förderung“ eines Suizids mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe. Bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes war die Hilfe beim Suizid ebenso wie der Suizid selbst straffrei, auch wenn die Suizidbeihilfe, z.B. durch einen qualifizierten Arzt, mehr als einmal geleistet wurde. „Diesen sinnvollen Grundsatz hat der Gesetzgeber in rechtswidriger Weise missachtet“, heißt es dazu in der Erklärung des Bündnisses, das im März 2014 vom Humanistischen Verband Deutschlands mitgegründet worden war und in dem acht humanistische Organisationen vertreten sind.

Das Bündnis sieht nun die Befürchtung bestätigt, dass das Gesetz bei Patienten und Ärzten zu erheblichen Verunsicherungen führt. So sei bereits ein offenes Gespräch mit Suizidwilligen unter diesen Umständen kaum möglich, weder für Ärzte noch für andere Fachkräfte in Palliativ- und Hospizstationen. Abschließend heißt es, das Gesetz „trägt dem Bedürfnis und dem Recht der Bevölkerung unseres Landes auf ein selbstbestimmtes Sterben nicht Rechnung.“ Das strafrechtliche Verbot organisierter Suizidbeihilfe müsse daher aufgehoben werden.

„Das neue Suizidhilfe-Verbot ist eine schreckliche Fessel für alle Menschen, die aufgrund ihrer Leiden bewusst und entschieden nicht mehr länger leben wollen“, sagte Erwin Kress, Vizepräsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands und Sprecher für Autonomie am Lebensende dazu am Mittwoch. Eine ergebnisoffene Suizidkonfliktberatung durch psychologisch qualifizierte Fachkräfte, wie sie unheilbar Kranken bis zum Erlass des neuen Gesetzes angeboten werden konnte, sei durch das Verbot praktisch unmöglich geworden. „Auch in der Hospizarbeit sehen wir uns in der Beratung und Hilfe für verzweifelte Menschen eingeschränkt, wenn es beispielsweise um Fragen zum freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit geht“, sagte Erwin Kress weiter. Die Hoffnung richtet sich darum nun zunächst auf das Bundesverfassungsgericht und die Einwände, die unter anderem namhafte Anwälte und Strafrechtler – wie Eric Hilgendorf, Wolfgang Putz, Torsten Verrel – dort angekündigt hätten.

„Der Strafgesetzbuchparagraph 217 schützt nicht, sondern er knebelt. Das Suizidhilfe-Verbot ist mit unseren humanistischen Vorstellungen vom Recht auf individuelle Selbstbestimmung nicht vereinbar. Wir lehnen diese nicht zuletzt auch von den Kirchen oktroyierte Bevormundung, die ohne gute Gründe sowohl unsere Selbstbestimmung wie auch die Gewissensfreiheit beschneidet, entschieden ab“, so Kress.

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