Humanistischer Verband: Kritik an Reformvorschlägen genügt nicht

Religionspolitische Anhörung von Bündnis 90/Die Grünen zeigt vielstimmige Bejahung von Neujustierungen des Verhältnisses zwischen dem Staat und den Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaften in Deutschland.

Am vergangenen Samstag hat in der Bundesgeschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin eine breit besuchte Anhörung zu religionspolitischen Themen und Problemstellungen stattgefunden.

Die Bündnisgrünen waren u.a. vertreten durch Bettina Jarasch, Mitglied des Bundesvorstandes und federführende Leiterin der religionspolitischen Kommission, sowie durch Walter Otte und Jürgen Roth vom Arbeitskreis Säkulare Grüne. Zur Anhörung gekommen waren Vertreterinnen und Vertreter von mehr als zwei Dutzend Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, um die Vorschläge des am 17. März 2016 vorgestellten Abschlussberichts der religionspolitischen Kommission „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“ von Bündnis 90/Die Grünen zu erörtern und um ihre Perspektiven zu positiven und kritischen Aspekten darzulegen: darunter Vertreter der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland, der Alevitischen Gemeinde Berlin, der Bahá’í, zweier buddhistischer Vereine, der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), des Humanistischen Verbandes Deutschlands, vertreten durch Frieder Otto Wolf, sowie der Heilsarmee, des Sikhismus, der Paganen, weiterer evangelischer Freikirchen und der katholischen KirchenVolksBewegung.

Bei der Anhörung wurde ganz überwiegend begrüßt, dass von Bündnis 90/Die Grünen die Themen und Fragen bei der überfälligen Neujustierung und Weiterentwicklung des deutschen Religions- und Weltanschauungsverfassungsrechts auf die politische Tagesordnung gebracht worden sind. Eher ablehnend verhielten sich hingegen die Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland. Diese machten deutlich, keine unzeitgemäßen Aspekte und keine Privilegierung der großen christlichen Kirchen in der gegenwärtig bestehenden Regelungsstruktur und der darauf aufbauenden politischen Praxis erkennen zu können.

Breites Interesse an kooperativer Laizität

Auf breites Interesse stieß bei der Anhörung das von Frieder Otto Wolf formulierte Konzept von kooperativem Laizismus als einer Haltung des Humanistischen Verbandes und kooperativer Laizität als geeignetem Rahmen der durch Reformen der politischen und rechtlichen Praxis anzustrebenden Religions- und Weltanschauungsverfassungsordnung in der Bundesrepublik Deutschland.

Die weiteren Stellungnahmen der teilnehmenden Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bzw. -verbände nahmen den größten Teil der für die Anhörung vorgesehenen Zeit in Anspruch. Die zwei außerdem für die Anhörung vorgesehenen Themen – die Förderung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sowie die Regelung von Feiertagen – konnten daher am Samstag nicht mehr gesondert zur Sprache kommen. Die Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen versprachen, diese Themen in geeigneten Formen des weiteren Austausches zu behandeln.

Frieder Otto Wolf äußerte sich nach der Anhörung erfreut über die breite Beteiligung. „Das große Interesse unterstreicht wohl unmissverständlich, dass der auch vom Grünen-Bericht deutlich artikulierte religionspolitische Reformdruck nicht von der Hand zu weisen ist, wie es von Seiten der Evangelischen Kirche in Deutschland und auch der katholischen Kirche immer noch versucht wird“, sagte Wolf.

Am Freitag vor der Anhörung hatten der Rat der EKD und der Leiter des Kommissariats der Deutschen Bischöfe eine Stellungnahme veröffentlicht, mit der die die vielfältigen Probleme im Bereich der Religionspolitik relativierende oder bestreitende Haltung der vom Status quo profitierenden Kirchen bekräftigt wurde.

In der Stellungnahme hieß es zwar, dass Bündnis 90/Die Grünen „einen aus Sicht der Kirchen sehr bemerkenswerten, grundlegenden und breit angelegten Diskurs zur Zukunftsfähigkeit des deutschen Religionsverfassungsrechts angestoßen“ hätten. Zugleich wurde dargelegt, warum viele der vom religionspolitischen Grünen-Bericht und bei der Anhörung am Samstag zur Sprache gekommenen Problemstellungen aus kirchlicher Sicht nicht erkannt werden könnten.

Wolf: Kirchen müssen eigene Reformvorschläge machen

Leider sei die große Mehrheit der Argumente seitens der Kirchen gegen angesichts der jetzigen und künftigen Pluralität notwendigen Neujustierungen im Verhältnis zwischen Staat und den Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaften immer noch von einer spezifisch groß-kirchlichen Perspektive geprägt, sagte Frieder Otto Wolf dazu. „Zu einer kritischen Revision, die nachhaltige Lösungen für die überfällige Modernisierung der Religions- und Weltanschauungspolitik hervorbringt, muss jedoch ebenfalls die Aufgabe gehören, auch kirchenförmig gestaltete Prägungen von Recht und politischer Praxis gedanklich hinter sich zu lassen und nicht-christlichen Weltanschauungen keine ihrem Selbstverständnis widersprechenden Pflichten oder Haltungen abzuverlangen, wie beispielsweise sich kirchenförmig zu organisieren“, so Wolf weiter. Für staatliche Stellen sei dies aufgrund der Verpflichtung zur weltanschaulichen Neutralität ohnehin geboten.

Zudem genüge es nicht mehr, nur Kritik an den zahlreichen Reformforderungen und -vorschlägen zu üben, betonte der Präsident des Humanistischen Verbandes. „Um sich wirklich ernsthaft an den laufenden Diskussionen zu beteiligen, müssten gerade vonseiten der großen Kirchen fundierte Reformvorschläge formuliert werden, die auf die von den Vertretern der kleineren Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften dargelegten Probleme und Bedürfnisse nach Anerkennung und Partizipation offen und respektvoll eingehen. Denn ohne einen solchen Respekt für die – durchaus auch abweichenden – Auffassungen und die Probleme bzw. Bedürfnisse Anderer wird ein konstruktiver Dialog über sinnvolle Lösungen sehr schwer. Und dass es neue Lösungen im Bereich der deutschen Religionspolitik geben muss, kann mittlerweile nicht mehr in seriöser Weise bestritten werden“, schloss Frieder Otto Wolf.

Inhalt teilen

Unsere letzten Pressemitteilungen

Humanistischer Verband Deutschlands hält Reform des Schwangerschaftsabbruchs für breit konsensfähig

In Deutschland werden innerhalb der Dreimonatsfrist jährlich ca. 96.000 Schwangerschaftsabbrüche straffrei vorgenommen. Dabei gilt nach Gesetz ab Einnistung der befruchteten Eizelle in den Uterus, dass diese bereits Würde- und Lebensschutz haben soll. Deswegen soll die Abtreibung gemäß Paragraf 218 StGB rechts- und sittenwidrig sein. Diese Widersprüchlichkeit in den Paragrafen 218 ff. StGB und die anachronistische Stigmatisierung von unerwünscht schwangeren Frauen sollen nunmehr gemäß einer aktuellen Kommissionsempfehlung moderat reformiert werden. Die Schritte dazu dürften auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens treffen – wobei der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) sich noch weitergehende Vorschläge wünscht.

Weiterlesen »
Nach oben scrollen