Auseinandersetzung um organisierte Suizidhilfe geht weiter

Im November 2015 hat der Bundestag ein Gesetz beschlossen, das organisierte Suizidhilfe mit bis zu drei Jahren Gefängnis bedroht.

Gegen den § 217 StGB „geschäftsmäßige Förderung der Suizidhilfe“ liegen beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) inzwischen einige Beschwerden vor. Der Humanistische Verband nimmt dazu Stellung.

Mit Schreiben vom 6. Juni 2016 hat das BVerfG neben anderen Interessensvertretern auch der Humanistischen Union und dem Humanistischen Verband Deutschlands Gelegenheit gegeben, bis zum 30. September zu den Beschwerden Stellung zu nehmen. Als Humanistischer Verband haben wir unsere Stellungnahme inzwischen abgegeben. Erwin Kress, Vizepräsident des Verbandes, sagt dazu: „Wir haben dies gerne getan. Die Beschwerden gegen das Gesetz, soweit sie uns vorliegen, sind allesamt berechtigt.“ Dabei ging es zum einen um vier Menschen, die lebensbedrohlich erkrankt sind, hauptsächlich an Krebs und Atemwegsproblemen. Sie hatten von Sterbehilfe Deutschland „grünes Licht“ bekommen, also die Zusage, dass sie Hilfe bei einer freiwilligen Lebensbeendigung erhalten, wenn sie ihr Leiden nicht länger ertragen. Die für sie tröstliche Möglichkeit wurde ihnen durch das Gesetz genommen. Organisationen wie Sterbehilfe Deutschland oder DIGNITAS Deutschland dürfen bei einem Freitod jetzt nicht mehr helfen. Ebenso wenig dürfen dies Ärzte wie Uwe Christian Arnold, die in der Vergangenheit vielen Menschen geholfen haben, sei es durch den Hinweis auf erträgliche Lebensalternativen, sei es durch die Bereitstellung von Mitteln, die einen sanften Tod erlauben.

„Das Gesetz“, so Erwin Kress weiter, „entfaltet nun auch Nebenwirkungen, die vom Gesetzgeber vermeintlich nicht beabsichtigt waren, wenngleich man da bei manchen Gesetzesverfechtern Zweifel haben darf.“ So hat z. B. auch Dr. Matthias Thöns gegen das Gesetz Beschwerde eingeleitet. Als Arzt im Palliativnetzwerk Witten wird ihm zum einen die Möglichkeit genommen, im Notfall einem Patienten bei einer freiwilligen Lebensbeendigung beizustehen, wenn dieser keine Alternativen für sich mehr sieht. Aber auch die normale praktische Tätigkeit der Palliativmediziner ist betroffen. Bisher haben sie ihren Patienten, die zuhause gepflegt werden, ausreichend Schmerzmittel zur Verfügung stellen können, damit diese nötigenfalls über mehrere Tage versorgt sind und auch bei zunehmenden Beschwerden die Dosis erhöhen können. Falls diese Mittel zu einer Selbsttötung ausreichen würden, dürfen sie jetzt nicht mehr zur Verfügung gestellt werden, da dies als Förderung einer Selbsttötung verfolgt werden könnte.

Aus den gleichen Gründen darf auch das sogenannte Sterbefasten (der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit), das als eine besondere Form der Selbsttötung betrachtet werden kann, jetzt nicht mehr von Ärzten, Pflegern oder Heimen wohlwollend unterstützt werden.

„Damit wird alten und schwerkranken Menschen eine Gelegenheit zur Lebensbeendigung genommen, die ihnen eine längere Phase des Abschiednehmens bot und bei der sie auch noch nach einigen Tagen einen Rückzieher machen konnten. Ärzte und Pflegende, mit denen wir zusammenarbeiten, haben dies immer wieder als eine für etliche Menschen annehmbare Möglichkeit gesehen, ihr Leiden zu beenden“, betont Erwin Kress.

Eine Beratung von alten und kranken Menschen, die sich mit Suizidabsichten tragen, darf jetzt ebenfalls nicht mehr durchgeführt werden, wenn sie nicht von vornherein ausschließt, dass die Gründe für einen Suizid verständlich sind. Dies ist im Sinne der Vermeidung wilder Suizide völlig unverständlich. Auch die Tatsache, dass vielen Menschen, die sich an Sterbehilfeorganisationen gewandt haben, lebenswerte Alternativen aufgezeigt werden konnten, hat ja den Gesetzgeber nicht beeindruckt.

Der Humanistische Verband hat in seiner Stellungnahme auf all dies hingewiesen und dargelegt, dass die Verfassungsbeschwerden gegen den § 217 StGB berechtigt sind und das Gesetz auch aus Sicht des Verbandes nur Unheil anrichtet und gegen wichtige Grundrechte und Prinzipien unserer Verfassung verstößt.

„Das Verbot organisierter Suizidhilfe nutzt niemandem, schadet aber vielen“, fasst Erwin Kress die Situation zusammen. Unter gleichem Titel hat er in einer Untersuchung dargelegt, dass die Gesetzesbegründung die Eingriffe in die Patientenautonomie nicht rechtfertigen kann.

Die Befürchtung des Gesetzgebers, durch organisierte Suizidhilfe würden alte und schwerkranke Menschen zum Suizid verleitet oder gedrängt, wird in der Gesetzesbegründung nicht belegt und kann auch nicht belegt werden. Das Gesetz geht über praktische Erfahrungen ebenso hinweg wie über den Willen einer großen Bevölkerungsmehrheit, die sich für den Notfall wünscht, ihr Leben mit professioneller Unterstützung beenden zu können.

Aus Achtung vor der Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts hat sich der Humanistische Verband dazu entschlossen, seine eigene Stellungnahme vorerst nicht zu veröffentlichen. Es ist zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht den Anträgen der Beschwerdeführer folgt und den § 217 StGB für verfassungswidrig erklärt. Mit einer Entscheidung wird um den Jahreswechsel herum gerechnet.

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