31 Prozent der Bundesbürger befürworten nichtreligiöse Alternative zu den Kirchen

TNS-Emnid-Umfrage zeigt überraschend hohe Zustimmungswerte für Konzept und Angebote des Humanistischen Verbandes Deutschlands. Mehr als jeder Fünfte zu unmittelbarer Beteiligung bereit.

Glaube ohne Gott, Leben ohne Religion und humanistische Begleitung für die Mitglieder der postreligiösen Gesellschaft – die letzten Titelthemen des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL und der Wochenzeitung DIE ZEIT zeigten klar: die weltanschauliche Landschaft in Deutschland und anderen westlichen Ländern ist tiefgreifenden Veränderungen unterzogen.

Neue Untersuchungen unterstreichen das: 29 Prozent der Bevölkerung führen hierzulande ein selbstbestimmtes Leben, das auf ethischen und moralischen Grundüberzeugungen beruht und frei ist von Religion und Glauben an einen Gott. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Befragung des Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid, die vor kurzem im Auftrag des Humanistischen Verbandes Deutschlands durchgeführt wurde. Weitere 35 Prozent erklärten, dass dies für sie „eher“ zutreffend sei. Dass dies „eher nicht“ oder „überhaupt“ nicht zutrifft, gab dabei lediglich ein gutes Drittel (34 Prozent) der Befragten an.

Damit bestätigen die Umfrageergebnisse zunächst das große Ausmaß der gesellschaftlichen Säkularisierung, das heute bereits in der Bundesrepublik vorhanden ist. Knapp 60 Prozent gehören hier zwar einer der großen christlichen Konfessionsgemeinschaften an. Doch offenbar sind es nicht Glaubenswahrheiten oder religiöse Überzeugungen, durch die viele Kirchenangehörige gebunden werden. Denn in allen Regionen gab eine deutliche Mehrheit der Befragten an, ein Leben ganz oder weitgehend ohne Religion und den Glauben an einen Gott zu führen. Auch in Bundesländern mit hoher konfessioneller Bindung wie Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Baden-Württemberg stimmten der entsprechenden Aussage durchschnittlich zwei Drittel der Umfrageteilnehmer „eher“ bzw. „voll und ganz“ zu.

Überraschende Ergebnisse lieferte die Untersuchung zur Frage, ob von Menschen, die keiner Religion oder Konfession angehören, eine Interessenvertretung in Form einer nichtreligiösen und ethisch-moralisch begründeten Alternative zu den christlichen Kirchen gebraucht wird. Als solche versteht sich der Humanistische Verband Deutschlands. Er ist eine anerkannte Weltanschauungsgemeinschaft konfessionsfreier Menschen, die vielfältige Bildungs-, Sozial- und Kulturdienstleistungen anbieten, darunter auch nichtreligiöse Zeremonien zu Lebenswenden wie Namens-, Jugend- und Trauerfeiern.

In der Umfrage meinten 31 Prozent der Teilnehmer, dass konfessionsfreie und nichtreligiöse Menschen eine Interessenvertretung wie den Humanistischen Verband brauchen, 8 Prozent zeigten sich unentschieden. Besonders hoch war die Zustimmung bei Personen bis zum Alter von 29 Jahren und bei über 60-Jährigen. Auffällig ist außerdem, dass mit 33 Prozent ein deutlich höherer Anteil der Befragten in den alten Bundesländern diese Auffassung teilt. Auf dem Gebiet der früheren DDR befürwortete hingegen nur rund jeder Fünfte das Konzept.

Überraschend sind die Ergebnisse mit Blick auf die im Vergleich dazu geringen Mitgliederzahlen des Humanistischen Verbandes, den durch seine zahlreichen Projekte und Angebote allein in der Hauptstadtregion rund 250.000 Menschen pro Jahr in Anspruch nehmen. Denn in ihm hat sich mit bundesweit rund 20.000 Angehörigen in zwölf Landesverbänden bisher nur ein kleiner Bruchteil der deutschen Bevölkerung organisiert, relativ deutlich weniger als etwa im rund fünf Millionen Einwohner zählenden Norwegen. Der skandinavische Schwesterverband Human-Etisk Forbund zählt derzeit mehr als 80.000 Angehörige.

Überraschend hohe Zustimmungswerte zeigten sich aber nicht nur bei der Frage nach dem grundsätzlichen Bedarf an einer Alternative und Interessenvertretung für nichtreligiöse Menschen. Mehr als jeder Fünfte (22 Prozent) gab in der Umfrage außerdem an, sich eine Unterstützung der kulturellen und sozialen Dienstleistungen des Humanistischen Verbandes Deutschlands durch eine Mitgliedschaft, Spenden oder ein ehrenamtliches Engagement vorstellen zu können. Hier lag mit 24 Prozent die Zustimmungsquote in den neuen Bundesländern leicht über der in den alten Bundesländern, wo dies 21 Prozent meinten. Überdurchschnittlich hoch war die grundsätzliche Zustimmung bei jüngeren und weiblichen Befragten.

Die Ergebnisse der Befragung beurteilte der Präsident des Humanistischen Verbandes, Frieder Otto Wolf, als „ermutigendes Zeichen“ für die Ausrichtung in den kommenden Jahren. „Die neuen Zahlen bestätigen die langjährigen unmittelbar gesammelten Erfahrungen, dass für unsere gemeinsame Arbeit eine grundsätzlich große Offenheit in der Bevölkerung vorhanden ist. Sie sind auch geeignet, das weitverbreitete Vorurteil zu widerlegen, dass nichtreligiöse Menschen kein Interesse für positive und säkulare Alternativen zu den Leistungen und Angeboten traditioneller Religionsgemeinschaften teilen.“

Wolf sagte weiter, dass in einer pluralistischen, funktional ausdifferenzierten und stark von ökonomischen Nützlichkeitserwägungen geprägten Gesellschaft auch in Zukunft nicht damit gerechnet werden könne, hohe Anteile der Bevölkerung für die vielfältigen Aufgaben und Anliegen des Verbandes unmittelbar binden zu können. „Die Interessenvertretung und praktische Unterstützung für Menschen ohne und unabhängig von ihrer Religion, ob in konkreten Projekten und Dienstleistungen vor Ort, bei politischen Instanzen oder sogar durch praktische Hilfe in weniger säkularen Gesellschaften werden herausfordernde und wichtige Tätigkeiten bleiben, dem sich nur ein geringer Teil aller Menschen zu widmen bereit ist.“

Trotzdem machen die Umfrageergebnisse deutlich: ein erhebliches Potential zur Erweiterung des Umfangs an Aktivitäten auf Basis einer nichtreligiösen humanistischen Weltanschauung, die sich als positive Alternative zu den christlichen Kirchen oder anderen Konfessionen versteht, ist da. „Dieses Potential zu erschließen ist dringend erforderlich, wenn die vielfältigen Formen der Benachteiligung und Ausschließung verringert werden sollen, mit denen Menschen ohne den Glauben an einen Gott immer noch täglich konfrontiert werden“, betonte Wolf abschließend.

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