Die Gründung des Dachverbandes
Die humanistische Tradition in Deutschland ist lang und vielfältig. Freidenker- und Freireligiöse Vereinigungen haben durch die verschiedenen Epochen der Geschichte das Leben und die Gesellschaft geprägt – aus unterschiedlichen Geistesströmungen heraus und oft stark in den Regionen verwurzelt. Seit 1993 hat die Bewegung mit dem Humanistischen Verband Deutschlands als Bundesverband eine gemeinsame, bundesweite Stimme.
Vor 30 Jahren gründeten sieben Verbände diesen Dachverband, um die Werte, Ideale und vor allem den praktischen Humanismus bundesweit zu fördern und zu vernetzen. Seitdem sind weitere Landesverbände aus den alten und neuen Bundesländern dazugekommen. Aktuell gibt es zehn Landesverbände in 11 Bundesländern.
Aktivitäten und Einrichtungen
Mit einer Vielzahl von Institutionen und Veranstaltungen ist der HVD zu einer festen Säule im Leben vieler Menschen geworden. So hat sich über die Jahre eine humanistische Feierkultur etabliert. In Niedersachsen wurde 1997 die erste humanistische Trauung auch für gleichgeschlechtliche Paare vollzogen. Die Landesverbände in ganz Deutschland bieten die beliebten Jugendfeiern an. Aber auch humanistische Feiern zum Beginn und zum Ende des Lebens werden in ganz Deutschland abgehalten.
Und immer wieder werden die Arbeitsfelder des praktischen Humanismus ausgeweitet. So eröffnete 2009 in Berlin das erste humanistische Hospiz LudwigPark. Außerdem unterhält der HVD bereits seit seiner Gründung 1993 die Zentralstelle Patientenverfügung, die sich für Selbstbestimmung am Lebensende einsetzt.
Von Beginn an ist auch die Trägerschaft von Bildungseinrichtungen ein zentrales Anliegen – mittlerweile gibt es bundesweit über 30 Kitas und Kindergärten. An Schulen in Berlin und Brandenburg hat sich das Konzept der humanistischen Lebenskunde immer weiterentwickelt: Inzwischen nehmen über 60.000 Schülerinnen und Schüler an der Alternative zum Religionsunterricht teil.
Der Humanismus wächst
Gleichzeitig wächst die humanistische Bildung und Forschung zusammen: 2006 entstand aus verschiedenen Bildungseinrichtungen die Humanistische Akademie Deutschland (HAD). In zahllosen Konferenzen und Tagungen werden hier weltanschauliche Fragen und Probleme diskutiert und präsentiert. Ein wichtiges Projekt des HVD Bundesverbandes ist das bereits 1987 gegründete humanistische Magazin „diesseits“. In der Zeitschrift werden – seit 2001 auch online – in regelmäßigen Abständen relevante Themen vorgestellt und über die Arbeit des praktischen Humanismus berichtet.
Immer wieder setzte der Verband Akzente in öffentlichen Debatten und mischte sich in Diskussionen ein. So war der HVD 2013 an der Veranstaltungsreihe „Vorhof der Völker“ beteiligt, der einen Dialog zwischen konfessionsfreien Menschen und Vertretern der katholischen Kirche anstoßen sollte. Einflussreich waren auch die 2016 und 2017 vorgelegten Stellungnahmen in Sachen Suizidhilfe, die später vom Bundesverfassungsgericht in seiner Urteilsverkündung zitiert wurden.
Um der humanistischen Idee mehr öffentliche Würdigung zuteilwerden zu lassen, fordert der Verband die Einführung des Welthumanistentages als offiziellen Feiertag.
Wurzeln in der Antike
Der HVD Bundesverband mag vergleichsweise jung erscheinen – seine Wurzeln reichen jedoch bis in die Antike: Unser Humanismus gründet auf den Philosophen und Dichtern des alten Griechenlands und des antiken Roms, doch auch auf dem Konfuzianismus Chinas und der Carvaka-Bewegung im klassischen Indien. In Europa erlebte der Humanismus mit der Renaissance eine neue Blüte. Der humanistische Geist ermöglichte die Entstehung der modernen Wissenschaft und übte Kritik an dogmatischen Glaubensätzen.
Mit dem Zeitalter der Aufklärung entfalteten die Ideen ihre politische Wirksamkeit. Es folgte die Französischen Revolution, die sich gegen den Feudalismus und die Kirche stellte – viele Grundsätze des Humanismus flossen in die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 ein.
Humanismus in Deutschland
Durch die Französische Revolution angestoßen, gewann Religionskritik und Aufklärung auch in Deutschland an Schwung. Im 19. Jahrhundert wurden naturwissenschaftliche Erkenntnisse durch freidenkerische Autoren und Wissenschaftler immer populärer, gleichzeitig wuchs die öffentliche Kritik an der christlichen Glaubenslehre. In der Folge gründeten sich sogenannte Freireligiöse Gemeinden. Sie erstrebten ein rationalistisches Christentum und irdisches Glück für alle Menschen. In ihren Reihen fanden sich viele Demokraten, die versuchten, ihre humanistischen Ideale auch in der Revolution von 1848 zu verwirklichen.
Die Bewegung wächst im Kaiserreich
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in Deutschland eine regional und inhaltlich sehr heterogene humanistische Bewegung. Sie bestand aus freireligiösen, ethischen und freidenkerischen Vereinen, die sich in jenen Jahren gegen das wilhelminische System aus Staat und Kirche formierte. Mit dem Weimarer Kartell gründete sich 1907 zum ersten Mal eine Art Dachorganisation. Neben Forderungen nach Glaubens- und Gewissensfreiheit und der Trennung von Kirche und Staat, setzte sich das Kartell auch für die Rechte von Frauen und Homosexuellen sowie für eine neue Sexualmoral ein.
Zur gleichen Zeit gründete sich auch eine sozialistisch ausgerichteten Freidenkerbewegung: 1908 spaltete sich der Zentralverband der Proletarischen Freidenker vom 1881 gegründeten Deutschen Freidenkerbund ab. Viele der Forderungen der sozialdemokratischen Freidenker, wie ein strikt säkulares Staatswesen, fanden sich auch im damaligen Programm der SPD wieder. Und so forderten Freidenker, Sozialdemokraten und auch Lehrerverbände beispielsweise die Weltlichkeit des Schulwesens, d.h. von kirchlichem Einfluss freie Schulen. In Hochburgen der Arbeiterbewegung erkämpften freidenkerisch orientierte Eltern die so genannte weltliche Schule, in der anstatt des Religionsunterrichts das Fach Lebenskunde unterrichtet wurde.
Die Weimarer Republik
In der Weimarer Republik nahm der Sparverein für Freidenker zur Ausführung der Feuerbestattung eine zentrale Rolle in der humanistischen Bewegung ein, da gerade viele Arbeiterfamilien die Bestattungskosten nicht aufbringen konnten. Er vereinigte sich 1927 mit den proletarischen Freidenkern und nannte sich ab 1930 Deutscher Freidenkerverband (DFV). Der neugegründete Verband wurde zu einer bedeutenden Weltanschauungsorganisation der Arbeiterbewegung.
Die Freidenkerbewegung wurde während der Weimarer Republik vonseiten der Kirchen und des rechten politischen Spektrums stark angefeindet. Dennoch wuchs sie stetig weiter: 1932 gehörten fast 700.000 Menschen zur sozialistisch orientierten Freidenkerbewegung. Hiervon waren 153.000 Mitglieder im eher kommunistischen Verband Proletarischer Freidenker organisiert, der sich 1929 vom DFV abgespalten hatte. Neben ihren politischen Forderungen, wie einem laizistischen Staat, boten die Freidenker ihren Mitgliedern diverse soziale und kulturelle Dienstleistungen an. Dem Kampf um die Weltlichkeit und die Demokratisierung des Schulwesens widmete sich der Bund Freier Schulgesellschaften, der bei seiner Gründung 1920 reichsweit 100.000 Mitglieder hatte.
Der Nationalsozialismus
Mit dem Erstarken der NS-Bewegung kam es immer mehr zu Angriffen auf die Freidenkerbewegung. Am 17. März 1933 stürmten SA-Horden die Geschäftsstelle des Deutschen Freidenkerverbandes in Berlin: Der Verband wurde in der Folge aufgelöst und sein Vermögen beschlagnahmt. Die Zerschlagung der weltlichen Schulen begann im April 1933. Bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 fielen auch die Schriften freidenkerisch gesinnter Autoren den Flammen zum Opfer. Im März 1936 erklärte der Volksgerichtshof den Deutschen Freidenkerverband zu einer hochverräterischen Organisation.
Um ihre Ideale zu verteidigen, kämpften viele Freidenker*innen gegen die NS-Diktatur. Viele Aktive des DFV, der weltlichen Schulbewegung, auch Schüler*innen von weltlichen Schulen, leisteten Widerstand, einige zahlten dafür mit ihrem Leben. Gleichzeitig verloren im Verlauf der NS-Herrschaft Teile der freireligiösen Bewegung jegliche Distanz zum Nationalsozialismus, bekannten sich zu Rassenlehre und Erbgesundheitspolitik.
Nachkriegszeit: Humanist*innen in BRD und DDR
Nach dem Ende der faschistischen Diktatur in Deutschland legten am 15. August 1947 ehemalige Mitglieder des Deutschen Freidenkerverbandes in der BRD den Grundstein für eine neue Organisation. 1951 erfolgte die Eintragung des Deutschen Freidenker-Verbandes ins Vereinsregister. Trotz des Engagements der Vereinsmitglieder zerbrach die enge Verbindung zu den traditionellen Arbeiterparteien und den liberalen Kräften. Durch den Verlust ihrer sozialen Milieus verloren die säkularen Organisationen massiv an Mitgliedern und Einfluss, ihr Wiederaufbau als Massenbewegung gelang nicht.
Auch in der DDR konnte die humanistische Bewegung nicht Fuß fassen. Die Obrigkeit ließ eine unabhängige Freidenkerbewegung nicht zu – gleichzeitig instrumentalisierte sie humanistische Rituale wie die Jugendweihe für ihre eigenen Zwecke.
Nach der Wiedervereinigung und dem Zusammenschluss von Verbänden und Organisationen aus Ost und West, unter dem Dach des HVD, gewann die humanistische Bewegung in Deutschland wieder Kraft. Sie blickt auf jahrhundertealte, bewegte Tradition zurück und wird sich auch in Zukunft engagiert für ihre Ideen und Ideale einsetzen.
Dieser Inhalt basiert im Wesentlichen auf Texten der Ausstellung „Humanismus-Geschichte-und-Gegenwart“. Darüber hinaus wurden ein Text von Manfred Isemeyer und weitere Quellen einbezogen.