Humanismus ist Liebe zum Leben, ist Mitmenschlichkeit und Solidarität. Humanismus ist Aufklärung. Humanismus ist die Förderung eines guten Lebens, die Sorge um individuelles wie kollektives Wohlergehen, im „Hier und Jetzt“ – in bewusster Verantwortung für nachfolgende Generationen. Humanismus ist daher auch die Bekämpfung aller inhumanen Verhältnisse. Dabei konzentriert sich Humanismus auf die Kommunikation über das Menschliche, auf menschliche Bedürfnisse, von der realen Welt ausgehend. Humanistisches Denken und Handeln geht vom Menschen aus und zielt auf den Menschen ab; in diesem Sinne ist Humanismus weltlich orientiert.
Humanismus setzt die menschliche Würde als zentralen Wert, in dem sich die gegenseitige Anerkennung als (Mit-)Mensch ausdrückt. Als begründete menschliche Setzung kann Würde im wissenschaftlichem Sinne nicht bewiesen werden und keine objektive Geltung besitzen. Es kann aber an andere Menschen appelliert werden, diese Überzeugung zu teilen und die menschliche Würde als leitendes Prinzip anzunehmen. Wird die menschliche Würde, ihre Herstellung und Verteidigung, zum leitenden Prinzip, so ergibt sich daraus auch eine Selbstverpflichtung zum praktischen Handeln. Diese Selbstverpflichtung kann als Bekenntniselement eines weltanschaulichen Humanismus angesehen werden. Auf dieser Grundlage betrachten wir im Folgenden unseren Humanismus als einen weltlichen, praktischen Humanismus.
Die verantwortungsvolle Selbstentfaltung eines Menschen besitzt in der humanistischen Lebensauffassung höchste Bedeutung – denn der Mensch kann nur selbst seinem Leben Sinn geben. Die daraus resultierende Vielfalt an Lebensentwürfen und Kulturen erachten wir als schätzenswert und förderungswürdig. Damit dieser Pluralismus gelingen kann und die gesellschaftspolitischen Voraussetzungen diese Vielfalt ermöglichen und garantieren können, ist der Humanismus dem Universalismus verpflichtet, der auch bei der Formulierung eigener Partikularinteressen die Anderen stets mitdenkt. Er geht davon aus, dass über die Formulierung von verbindlichen Normen für alle das Selbstbestimmungsrecht des Individuums mit seiner Verantwortung für seine Mitmenschen in Einklang gebracht werden muss. Dieser universalistische Gedanke findet zum Beispiel in den Allgemeinen Menschenrechten seinen Ausdruck.
Der Respekt vor der Würde eines jeden Menschen schließt auch den Respekt vor (individuellen) religiösen Bekenntnissen mit ein, auch wenn sie einem selbst fremd und unzugänglich oder gar absurd erscheinen. Das aus der menschlichen Würde hergeleitete Selbstbestimmungsrecht jedes Individuums beinhaltet auch dessen Recht auf religiöse Entfaltung – solange dies in sozialer Verantwortung erfolgt. Wenn Religionen und Weltanschauungen oder ihre individuelle wie kollektive Ausübung gegen Menschenrechte gerichtet sind, autoritäre Tendenzen zeigen, einen alleinigen Wahrheitsanspruch vertreten oder Menschen in ihrer freien Entwicklung einschränken, sind sie zu kritisieren.
Andererseits können Religionen – individuell wie kollektiv – Wesentliches für menschliche Bedürfnisse leisten. Davon kann sich auch unser Humanismus inspirieren lassen. Auch der Humanismus muss letztlich eine „Conditio Humana“ (weiter-)entwickeln, und sich der Frage stellen: Was bedeutet Mensch-Sein in dieser Welt? Er muss ein positives Verhältnis zu den sogenannten „letzten Fragen“ und zu den Unzugänglichkeiten des menschlichen Lebens entwickeln: Womit und wie spricht unser Humanismus die Emotionen der Menschen an? Wie gehen nichtreligiöse Humanist*innen mit Endlichkeit um – ihrer eigenen und der der Anderen? Wie kommunizieren sie ihre inneren Gefühle (zum Beispiel in der Natur oder beim Musikhören)? Wie beschreiben sie das Staunen über die Welt und welche Bedeutung hat es für sie? Wie werden Bereiche des Geistigen wie Selbstversenkung und Kontemplation beschrieben und benannt? Und wie reden Humanist*innen schließlich über Selbstwahrnehmung oder über Würde als Grundlage menschlicher Beziehungen?
Wenn sich der Humanismus diesen Fragen öffnet und in den Dialog tritt, kann er sein Versprechen auf Halt und Orientierung auch umfassend erfüllen und den „ganzen Menschen“ erreichen und begleiten. Die Bedeutung dieses Aspektes wird nicht nur bei Ausnahmesituationen wie Sterbebegleitung oder „seelsorgerischer“ Begleitung in akuten Notlagen deutlich, sondern auch bei der Feierkultur, der Beratung zur Patientenverfügung oder dem Humanistischen Lebenskundeunterricht.
Dieser Aspekt, den Menschen in all seinen Facetten erreichen, berühren und begleiten zu können, ist wichtig für unseren Humanismus, sei es als weltanschauliche Kulturpflege durch Feste und Feiern vermittelt oder in der praktischen sozialen Arbeit. Humanismus ohne praktizierte Humanität reduziert sich auf eine Behauptung ohne praktische Relevanz. Humanismus bedarf der humanitären Praxis, um seine Ansprüche, sein Menschenbild bezüglich Gleichheit und Gerechtigkeit, Menschenliebe und Barmherzigkeit belegen zu können. Andernfalls würde sein Kernanliegen, die Formulierung der spezifischen Idee eines guten menschlichen Lebens, ein reines Gedankenspiel bleiben.
In seiner Praxis zielt er auf die Humanisierung des einzelnen Menschen wie der Gesellschaft ab, um für seine Lebensauffassung zu werben und seinen Werten Geltung verschaffen zu können. Auf gesellschaftspolitischer Ebene leistet Humanismus ethische Orientierung und bietet Begründungen für oder gegen eine humanitäre Praxis im Interesse von Selbstbestimmung in sozialer Verantwortung. Beispiele hierfür sind unsere Haltung zum Humanen Sterben oder zum Schwangerschaftsabbruch. Auf diese Weise leistet Humanismus, leisten humanistische Verbände, die Humanismus organisieren und pflegen, einen wesentlichen Beitrag für die offene, demokratische Gesellschaft. Damit dieser Beitrag in angemessener Form ausgearbeitet und eingebracht werden kann, ist eine breite Förderung und Unterstützung, auch von staatlicher Seite, ebenso sinnvoll wie willkommen.
Humanistischer Verband Deutschland – Bundesverband
Der Vorstand
Berlin, 15.12.2021