Ergebnisse des am 3. August vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Mikrozensus 2010 wurden vom Humanistischen Verband Deutschlands mit größter Besorgnis zur Kenntnis genommen. Aus dem Mikrozensus geht hervor, dass der Anteil von Kindern in Deutschland dramatisch zurückgeht. Besonders stark sind die neuen Bundesländer betroffen. „Als Humanistinnen und Humanisten halten wir die gegenwärtigen Entwicklungen für inakzeptabel“, hieß es dazu aus dem Präsidium.
Den Daten des Mikrozensus zu Folge ist die Zahl minderjähriger Kinder in den letzten Jahren um 2,1 Millionen auf 13,1 Millionen gesunken. In den alten Bundesländern verringerte sie sich um zehn Prozent auf 11 Millionen Kinder. In den neuen Bundesländern belief sich die Abnahme sogar auf 29 Prozent, dort leben nun noch rund 2,1 Millionen Menschen unter 18 Jahren. Das Präsidium nahm ebenfalls die Tatsache zur Kenntnis, dass der im Vergleich starke Schwund in den neuen Bundesländern sich zum Teil auch auf eine starke Abwanderungsbewegung von Frauen in die alten Bundesländer zurückführen lässt.
Bereits dem Wunsch der Menschen in Deutschland nach Kindern und Familie stehen zahlreichen Untersuchungen nach diverse Hindernisse entgegen. Das Präsidium erklärt dazu: „Zustände, die Menschen von der Verwirklichung des Wunsches nach Kindern oder auch einer Familie abbringen, können aus unserer Perspektive nicht toleriert werden und müssen überwunden werden.“
Studien und repräsentativen Umfragen zufolge ist der Kinderwunsch bei Frauen und Männern in Deutschland durchschnittlich signifikant höher als die Zahl der Kinder, die tatsächlich zur Welt gebracht werden. Den vorhandenen Wünschen steht jedoch der Fakt gegenüber, dass Frauen in Deutschland durchschnittlich nur 1,36 Kinder bekommen. Die im Verhältnis meisten Kinder erblickten in den letzten Jahren in den neuen Bundesländern das Licht der Welt, den aktuellsten Daten des Statistischen Bundesamtes zufolge. Im Saarland und in Hamburg ist die Geburtenziffer heute am geringsten. Von einem kinderfreundlichen Land, für das der Humanistische Verband eintritt, sind die tatsächlich hervorgebrachten Elternwünsche der Menschen weiterhin weit entfernt.
„Der Erörterung von Ursachen und vernünftiger Auswege aus der derzeitigen Lage müsste sich eine aufgeklärte Gesellschaft offen und entschieden stellen können“, so das Präsidium. Dass das Elterndasein für junge Frauen und Männer hierzulande keine echte Attraktivität besitzt, sollte von allen Menschen mit sozialem Verantwortungsbewusstsein nicht als hinnehmbar akzeptiert werden.
Das Präsidium sieht, dass die vorhandene Abneigung gegen Elternschaft komplexe Ursachen hat. Anknüpfungspunkte für die Debatten über Auswege sollten dabei in erster Linie die von den Menschen mit Kinderwunsch als Hindernis beurteilten Zustände haben.
Die rational nicht vertretbaren Deutungsversuche von Vertretern christlicher Glaubensgemeinschaften über die Ursachen der drastisch abnehmenden Zahl von Kindern, laufen praktisch darauf hinaus, die junge Generation im Namen „der Moral“ zu bevormunden. Dem wird vom HVD eine klare Absage erteilt. „Die Einflussnahme auf Staat und Gesellschaft mit dem Ziel, hier entgegen den eigenen Wünschen der Menschen angeblich ‚moralische’ Veränderungen auf Grundlage von übernatürlichen Vorstellungen verwirklichen zu wollen, kann angesichts der realen Lage nur als kontraproduktiv beurteilt werden“, so das Präsidium. Die immer wieder wahrnehmbare Stimmungsmache gegen eine ‚hedonistische’ Sexualmoral, nicht-heterosexuelle Sexualität, den Gebrauch von Verhütungsmitteln, Schwangerschaftsabbrüche, theologisch nicht vorgesehene Paarbindungen oder gegen die eine befreite Sexualität einschließenden Lebensphilosophien nichtreligiöser Menschen lenken von den tatsächlich bestehenden Problemen ab – und unterstützen nur die kulturellen Voraussetzungen für vermeidbares individuelles Leid auf allen Seiten. Die Probleme wurzeln nicht darin, wie die Menschen ihre Sexualität – mehr oder minder selbstbestimmt – leben, sondern darin wie Gesellschaften die Bedingungen des Lebens mit Kindern gestalten.
In diesem Zusammenhang kann hingegen die im Mikrozensus genannte Zunahme von Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren als positive Entwicklung beurteilt werden. Das sieht der Verband als einen einzelnen Weg, der im Sinne einer kinderfreundlichen Gesellschaft konsequent weiterverfolgt werden sollte, damit möglichst viele Frauen und Männer in freiheitlicher und selbstbestimmter Weise Kinderwünsche und Berufsleben in Einklang bringen können.
Dass die wenigen Kinder in Deutschland laut Mikrozensus 2010 nicht stärker armutsgefährdet als der Durchschnitt der Bevölkerung sind, täuscht Humanistinnen und Humanisten wiederum nicht über die schlechte soziale Lage von Bevölkerungsgruppen erheblicher Größe hinweg, die sich durch alle Bildungsschichten zieht. Allein die große Distanz vieler Menschen dazu, Kinder in die Welt zu setzen und sie aufzuziehen, macht aus Sicht des Präsidiums ebenfalls deutlich wie schlecht die soziale Lage in Deutschland tatsächlich ist.
Deshalb ist es auch nicht zu vertreten, die heutige Lage zwischen alten und neuen Bundesländern weiterhin zu verzerren. Die vorhandene Abwanderung von Frauen aus den neuen Bundesländern ist eine Konsequenz der Tatsache, dass keine ausreichend attraktiven Lebensbedingungen für diese Menschen hergestellt wurden. Die wirklichen Defizite im gesamten Land und die zugrunde liegenden Probleme können nicht ewig zugedeckt werden, sie zu ignorieren ist unredlich. Das sollte sowohl in der allgemeinen Reflexion vorhandener Verhältnisse wie auch für den gesellschaftlichen Diskurs über notwendige Weiterentwicklungen die gebührende Aufmerksamkeit erhalten. Das Präsidium im Humanistischen Verband Deutschlands plädiert deshalb dafür, die Lösung dieser gesellschaftlich fundamentalen Probleme in den Vordergrund zu rücken: „Eine kinderfreundliche Welt müssen wir überall in Deutschland gewährleisten.“