Engagement für die besonderen Bedürfnisse nichtreligiöser Schutzsuchender

Interview zum ersten Treffen von Vertretern des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und des Humanistischen Verbandes.

„Ein Verdammter in der hessischen Provinz“ – Unter diesem Titel berichtete in der vergangenen Woche die Frankfurter Allgemeine Zeitung über einen Studenten, der derzeit in Hessen auf die Bewilligung seines Asylantrages wartet. In seinem Heimatland Pakistan droht ihm der Tod, nachdem ein „blasphemisches“ Mohammed-Video bekannt wurde, dessen Urheber er ist.

Der pakistanische Atheist ist in dieser Lage kein Einzelfall, denn in zahlreichen Ländern werden nichtreligiöse Menschen aufgrund ihrer atheistischen, agnostischen oder religionskritischen Haltung bedroht, verfolgt oder ermordet. In Bangladesch wurden in der ersten Jahreshälfte 2015 drei Menschen wegen ihrer islamkritischen Ansichten umgebracht.

In der Bundesrepublik Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern können Menschen auch vor solchen Gefahren für Leib und Leben Zuflucht suchen – und immer mehr dieser Fälle werden bekannt. Doch auch konfessionsfreie Schutzsuchende, die nicht wegen religiöser Verfolgung aus ihrer Heimat geflohen sind, benötigen eine angemessene Berücksichtigung ihrer besonderen Bedürfnisse durch die Behörden, in den Bewilligungsverfahren oder in den Unterkünften.

Um hier für eine höhere öffentliche Sensibilität zu sorgen und auf eine verantwortungsbewusste Flüchtlingspolitik hinzuwirken, trafen sich am 7. Mai 2015 Vertreter des BAMF und des Humanistischen Verbandes in Nürnberg. Zwei von ihnen geben nun Auskunft über die Gespräche: Florian Zimmermann, Vorsitzender des Humanistischen Verbandes Hessen, der bereits konkrete Erfahrungen in der Asylbegleitung für nichtreligiöse Schutzsuchende gesammelt hat, sowie der Vorstand des Humanistischen Verbandes Bayern, Michael Bauer, der das Treffen organisierte.

Was waren die Themen des Gesprächs mit den Vertretern des Bundesamtes?

Michael Bauer: Im Wesentlichen ging es darum, überhaupt Sensibilität für die Anliegen nichtreligiöser Menschen und insbesondere von Flüchtlingen zu schaffen, die aufgrund der Verfolgung aus religiösen Motiven bei uns sind. Deshalb ging es vor allem um Fragen rund um das Asylverfahren bzw. die Frage, inwieweit eine humanistische Weltanschauung des Verfolgten in bestimmten Ländern als Asylgrund gilt. Wir kennen ja aktuell die schrecklichen Bilder aus Bangladesch, aber auch aus arabischen und afrikanischen Ländern sind solche Verfolgungen bekannt. Und wir haben erörtert, inwieweit sich der Humanistische Verband im Rahmen der Strukturen der Flüchtlingsarbeit verstärkt einbringen kann.

Florian Zimmermann: Anhand der von uns betreuten Einzelfälle haben wir versucht, grundlegendes Verständnis für die besonderen Bedürfnisse von Schutzsuchenden mit nichtreligiöser Weltanschauung zu erzeugen.

Sind die angesprochenen Anliegen auf Interesse gestoßen?

Zimmermann: Die Anliegen sind auf offene Ohren gestoßen. Es wurde uns zugesagt, dass die interne Richtlinie über Religionen um nichtreligiöse Weltanschauungen ergänzt werden soll. Das BAMF geht aber davon aus, dass es über die von uns betreuten Fälle hinaus kaum religiös verfolgte Atheistinnen oder Atheisten gibt. Wir sind da anderer Meinung und haben klargemacht, dass wir mit einer sehr hohen Dunkelziffer rechnen. Denn bereits jetzt geben 3000 Flüchtlinge pro Jahr an, konfessionsfrei zu sein. Davon stammen über 1000 Menschen aus dem Iran, wo der „Abfall vom Glauben“ mit dem Tode bestraft wird.

Mit welchen besonderen Problemen sind nichtreligiöse Schutzsuchende konfrontiert?

Bauer: Es gibt Fälle, in denen Flüchtlinge bzw. Asylsuchende, die gerade aufgrund religiöser Verfolgung geflohen sind, hier in den Aufnahmeeinrichtungen wieder auf Menschen stoßen, die von religiösem Fanatismus verblendet sind. Da gilt es darauf zu achten, dass – wenn es gestattet ist, es so auszudrücken – nicht alle aus einem Land zusammengepackt werden sollten, nur weil sie dieselbe Herkunftsregion haben. Vielmehr muss schon auch berücksichtigt werden, warum jemand hierhergekommen ist. Und da sind wir beim zweiten Problem: Die Fragen danach, die von Seiten des BAMF gestellt werden, berücksichtigen humanistische und atheistische Hintergründe nicht ausreichend, sondern fokussieren sich auf Fragen nach der Religion. Was soll man da antworten, wenn man keine hat? Ein Hintergrund dieser Situation ist sicher, dass die Bundesregierung sich gemäß Koalitionsvertrag ausdrücklich und insbesondere um verfolgte Christen kümmern möchte. Ich denke, in dem Gespräch haben wir aber erreichen können, dass hier eine Weiterentwicklung in unserem Sinne stattfindet.

Um was ging es bei dem Treffen noch?

Zimmermann: Da auch die Einschränkung der negativen Religionsfreiheit einen Flüchtlingsschutz nach EU-Flüchtlingsrecht begründen kann, ist es wichtig, im Asylverfahren die Zugehörigkeit zu einer im Heimatland unterdrückten nichtreligiösen Weltanschauung glaubhaft zu machen. Uns wurde erklärt, dass bei uns eingebundene Menschen – am besten sogar ehrenamtlich engagierte Mitglieder – bei der Asylentscheidung nachvollziehbar Humanistinnen und Humanisten sind. Über die Situation verfolgter religiöser Minderheiten in den einzelnen Ländern liegen dem Bundesamt wohl sehr gute Dossiers vor. Wir haben angeboten, ergänzend den Freedom-of-Thought-Report der IHEU weiterzuleiten, der die Situation nichtreligiöser Menschen detailliert darstellt. Das wurde dankend angenommen und wir haben den Bericht inzwischen an das BAMF verschickt.

Welche konkreten Möglichkeiten haben Humanistinnen und Humanisten, hier zu helfen?

Bauer: Da gibt es viele. Zum einen existieren ja ein Menge Initiativen vor Ort, die sich für Flüchtlinge und Asylsuchende bei uns engagieren. Mancherorts hat auch der HVD ein eigenes Projekt aufgelegt, z.B. in Bayern mit den WeShare-Ehrenamtlichen-Diensten. Ich denke, dass menschliche Zuwendung und Hilfe in dem für die Flüchtlinge ja ganz fremden Land das Wichtigste ist, was man einfach und unmittelbar tun kann. Zum anderen ist es für die meisten gemeinnützigen Träger, die sich engagieren, nicht einfach, dieses Engagement auch finanziell stemmen zu können. Ein bisschen etwas abzugeben und zielgerichtet zu spenden, z.B. an eine Initiative vor Ort, die man kennt und bei der man weiß, was mit dem Geld passiert, ist daher immer eine sinnvolle Sache.

Wo würden Sie einen Schwerpunkt setzen?

Zimmermann: Da ein großer Teil der Unterstützung von Flüchtlingen durch Kirchen geleistet wird, ist ein blinder Fleck für die Bedürfnisse von Menschen mit nichtreligiöser Weltanschauung entstanden. Ich sehe es als Kernaufgabe des Humanistischen Verbandes, diese Lücke zu schließen. Am wirkungsvollsten wäre es, eine eigene Asylverfahrensberatung zu schaffen. Es ist aber auch sinnvoll, die Beratenden anderer sozialer Träger und die Entscheiderinnen und Entscheider des BAMF weiter für das Thema zu sensibilisieren. Ich rechne mit einem großen Bedarf an zusätzlicher säkularer Beratung. Hier müssen Mittel zur Finanzierung gefunden werden. Denn beispielsweise auch die Beratung von Menschen, die wegen ihrer Homosexualität verfolgt werden, sollte nicht durch Einrichtungen erfolgen, die diese Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminieren oder sogar als „Sünder“ ansehen.

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