In Polen wird das ohnehin bereits sehr restriktive Abtreibungsgesetz weiter eingeschränkt. Ein Schwangerschaftsabbruch war in Polen bisher in drei Fällen möglich: als Folge einer Vergewaltigung, wenn das Leben der schwangeren Frau unmittelbar bedroht ist und bei schweren Fehlbildungen oder unheilbarer Krankheit des Fötus. Die dritte Indikation wurde nun Ende vergangener Woche vom Obersten Gericht des Landes als unvereinbar mit dem „Recht auf das Leben“ und damit als verfassungswidrig erklärt. Damit werden Schwangerschaftsabbrüche faktisch verboten – denn fast alle der legalen Schwangerschaftsabbrüche im vergangenen Jahr waren in Polen wegen dieser dritten Indikation vorgenommen worden. Frauen können nun also dazu gezwungen werden, nicht lebensfähige oder sogar tote Föten auszutragen und zu gebären.
„Die polnische Regierung entrechtet und entmündigt Frauen in einem existenziell wichtigen Lebensbereich und lässt sie dann mit den oft schwer oder gar nicht bewältigbaren gesundheitlichen, psychosozialen und finanziellen Problemen alleine, die aus dem Zwang zum Austragen von Schwangerschaften entstehen“, sagt Hedwig Toth-Schmitz, Vorstand des HVD Bundesverbandes. „Die europäischen Gremien dürfen nicht länger zusehen, wie mitten in Europa ein Staat die Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte seiner Bürgerinnen verletzt und immer mehr dazu übergeht, autoritär statt demokratisch zu agieren.“
Erst im April dieses Jahres hatte die rechtskonservative Regierung des Landes einen Versuch unternommen, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch massiv einzuschränken. Wegen Massenprotesten hatte das Parlament jedoch letztlich nicht über die eingebrachte Gesetzesnovelle abgestimmt. Die Entscheidung wurde von der PiS-Partei nun dem Obersten Gericht zugeschoben, welches jedoch unter Befangenheitsverdacht steht: Nach der Machtübernahme 2015 wurde das Gericht von der PiS umgebaut, mit einer Ausnahme wurden alle Verfassungsrichter von der PiS-Mehrheit im Parlament ernannt. Die Europäische Union hat deshalb bereits vier Vertragsverletzungsverfahren wegen einer Verletzung der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet.
„Die PiS-Partei stellt sich auf eine Stufe mit Putin oder Erdogan“, erklärt Erwin Kress, Vorstandssprecher des HVD Bundesverbandes. „Es ist der Stil eines autoritären Regimes, wenn eine demokratische Meinungsbildung verhindert wird und Rechte von Minderheiten durch billige Tricks außer Kraft gesetzt werden. Der Humanistische Verband Deutschlands verurteilt ein solches Vorgehen scharf und stellt sich auf die Seite der wirklich demokratischen Kräfte in unserem Nachbarland.“
Kirche rechtfertigt Gebär- und Lebenszwang
Getragen wird das faktisch totale Abtreibungsverbot vor allem von der katholischen Kirche, die die PiS-Partei offen unterstützt. „Die Kirche nimmt keine Rücksicht auf die Forderungen einer Mehrheit von Frauen, sondern macht ihren Einfluss auf die polnische Regierung geltend, um menschenfeindliche Politik gemäß vermeintlich göttlicher Normen durchzusetzen“, sagt Kress.
Die Katholische Kirche in Polen feierte das Urteil geradezu. Erzbischof Stanislaw Gadecki, Vorsitzender der Polnischen Bischofskonferenz, nannte es eine „epochale Gesetzesänderung“, denn es sei „unerhört barbarisch“, jemandem das Recht auf Leben zu verweigern, „besonders wegen seiner Krankheit“. Diese einseitige Betrachtung blende jedoch nicht nur völlig die Situation ungewollt Schwangerer aus, sondern verschweige zugleich, „dass hier Ungeborene mit schwersten Behinderungen zum Leben und damit zum Leiden gezwungen werden sollen“, kritisiert Kress. Er sieht im Gegensatz zur erzkonservativen polnischen Kirche „die Barbarei gerade in dem hier geforderten Lebenszwang für schwerstbehinderte Föten“.
In den vergangenen Jahren wurden die Einschränkungen der Frauen- und Minderheitenrechte durch massiven Widerstand der Zivilgesellschaft begleitet. Da aktuell wegen der Pandemielage Demonstrationen eingeschränkt sind, gehen Beobachter*innen davon aus, dass dieser Umstand ausgenutzt werden soll – man hofft, dass es nicht zu Massendemonstrationen kommt. Dennoch beteiligten sich am Wochenende hunderte Menschen an Protesten in Warschau und auch andernorts in Polen. Das staatliche Fernsehen berichtete nicht über die Demonstrationen.