Bei dem Gesetzentwurf der Abgeordnetengruppe um Lars Castellucci, Ansgar Heveling u.a. soll zum Schutz von Leben und von vermeintlich echter Autonomie erneut eine allumfassende Strafrechtsnorm § 217 StGB eingeführt werden. Dies wird ideell unterstützt vor allem von den Kirchen, dem Deutschen Hospiz- und Palliativverband und psychiatrischen Berufsverbänden. Hingegen warnen als Sachverständige geladenen Strafjuristen vor der Gefahr, dass mit einer Strafrechtsregelung zur Suizidhilfe wiederum die – nunmehr verfassungsrechtlich geforderte – effektive Verfügbarkeit sicherer Unterstützung bei der Selbsttötung verfehlt wird. Denn dieser höchst repressive Entwurf überfordert betroffene Suizidwillige mit einem maximalen Procedere, welches – allein wegen zwei psychiatrischer Konsultationen – im vorgegebenen Zeitfenster gar nicht eingehalten werden kann, aber laut diesem Gesetzentwurf erforderlich ist, um hilfsbereite Personen entgegen dem prinzipiellen Verbot von Rechtswidrigkeit auszunehmen.
„Wie kann es sein“, fragt Gita Neumann, die Bundesbeauftragte des Humanistischen Verbandes für Medizinethik, „dass schon so viele Abgeordneten, darunter fünf Minister*innen der Ampelkoalition, den Entwurf von Castellucci/Heveling u.a. mitgezeichnet haben? Des Rätsels Lösung ist das strategische Ablenkungsmanöver, dass gleichzeitig ein separater Antrag auf Vorrang der Suizidprävention vorgelegt wurde. Wer sollte ein solches moralisch daherkommendes Junktim schon als Strategie zum Durchwinken einer neuen Strafbarkeit durchschauen?“ Der Strafrechtler Prof. Karsten Gaede bringt es in seiner bereits schriftlich vorliegenden Stellungnahme für die Anhörung auf den Punkt. Er hält das Anliegen der Gruppe um Castellucci/Heveling nicht nur für fragwürdig, sondern auch für inkonsequent: „Während die Abgeordneten im Präventionsantrag zu Recht verlangen, die Suizidprävention durch die Enttabuisierung und Entstigmatisierung von Suizidgedanken zu fördern, erweisen sie diesem Anliegen mit dem bewusst auf Abschreckung angelegten umfassenden Strafbarkeitsrisiko einen Bärendienst.“
Für den Humanistischen Verband Deutschlands geht es um alle Menschen, ob sie zunächst nur vielleicht vorübergehende Gedanken haben, am liebsten tot sein zu wollen oder auch schon ernsthafte Suizidabsichten hegen. Der HVD favorisiert deshalb den Gesetzentwurf von Katrin Helling-Plahr, Helge Lindh u.a., die auf jegliche Sanktionen konsequent verzichten. Sie schlagen vielmehr flächendeckend in Anspruch zu nehmende ergebnisoffene Beratungsangebote vor, in denen interdisziplinäre Teams Gespräche und klientenzentrierte Informationen anbieten. „Es entspricht unserer jahrzehntelangen Erfahrung mit suizidalen Krisen sowie Anfragen zur Selbsttötungshilfe“, erläutert Neumann, „dass Menschen nicht von vornherein in Gruppen von freiwillensfähigen körperlich Kranken und allen anderen aufgeteilt werden können, sondern dass Suizidprävention und -hilfe jeweils auf den konkreten Fall bezogen Hand in Hand gehen.“
Der Humanistische Verband Deutschlands fordert die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, nicht dem Ablenkungsmanöver mit dem separaten Antrag auf Suizidprävention zu folgen. Ein vergleichbares Vorgehen hatte es bereits 2015 bei der Verabschiedung des dann 2020 vom Bundesverfassungsgericht gekippten § 217 StGB gegeben, als dessen damalige Befürworter*innen ihren Gesetzesantrag koppelten mit einem Gesetz zur Förderung der Palliativ- und Hospizversorgung. „Dagegen konnte ja auch 2015 niemand etwas einzuwenden haben“, so Neumann. „Diesmal sollten die Abgeordneten aber wachsamer sein und dazu gelernt haben.“