Die Rede im Wortlaut:
„Ihr Lieben,
die menschenfeindliche Geschlechter- und Sozialpolitik des Papstes – das vor Allem Anderen ist das Anliegen, das uns hier und heute eint.
Darüber hinaus gibt es viele unter uns – auch Angehörige des Deutschen Bundestages, die dafür in maßloser Weise durch die katholische Kirche diskreditiert wurden – die sich für die Trennung von Staat und Kirche einsetzen. Nicht nur die Piratenpartei, die am letzten Sonntag hier in Berlin einen großen Wahlerfolg feiern konnte, setzt sich die Beendigung der finanziellen und strukturellen Privilegien einzelner Glaubensgemeinschaften zum Ziel. Auch ein breites Spektrum säkularer Organisationen, Vereine und Verbände – in deren Namen ich als Präsident des Humanistischen Verbandes und als Vorsitzender des Koordinationsrates der säkularen Organisationen hier spreche – ist der Meinung, dass Deutschland einen großen Nachholbedarf in der Trennung von Staat und Kirche hat – und dass dieser Papstbesuch in Deutschland dies schlagend vor Augen führt.
Ihr Lieben,
die Ihr hier und heute mit uns wegen des Besuchs dieses Papstes in Deutschland protestiert – wir sollten und können gemeinsam Einiges vor den Menschen in dieser Stadt und in diesem Land klar stellen:
Uns wird vorgeworfen, wir seien anti-katholisch.
Es mag ja sein, dass es unter uns einige gibt, die spezifisch etwas gegen die römisch-katholische Tradition einzuwenden haben. Aber das ist gar nicht der Punkt, der uns hier und heute zusammengeführt hat, um gemeinsam zu protestieren. Dabei gibt es gute Gründe dafür, die Anmaßungen beträchtlicher Teile dieser römisch-katholischen Tradition zurückzuweisen: Sie ist keineswegs die nicht mehr zu hinterfragende letzte Instanz zur Beurteilung moralischer, religiöser oder auch nur christlicher Fragestellungen. Und daher gibt es einfach keinen Grund mehr dafür, an ihrer längst zum Anachronismus gewordenen Privilegierung durch den deutschen Staat festzuhalten. Diese Privilegierung wird heute dadurch beispielhaft vorgeführt, dass der Papst als Oberhaupt der Katholischen Kirche im Bundestag als ein Staatsoberhaupt spricht.
Gegen diese Privilegierung protestieren wir!
Uns wird vorgeworfen, wir seien anti-christlich.
Es ist wahr, dass es unter uns einige gibt, die sich der „Kriminalgeschichte des Christentums“ (um hier Karlheinz Deschner zu zitieren) bewusst sind. Aber das ist keineswegs das Anliegen, das uns hier und heute zusammengeführt hat, um gemeinsam zu protestieren. Wir haben kein Verständnis mehr dafür, dass unter der Berufung auf die Religionsfreiheit gerade die katholische Kirche als christliche Konfession – nicht anders als die ehemaligen Staatskirchen auf der protestantischen Seite – von Staats wegen privilegiert wird: In einer Situation, in der sich nur noch ein immer weiter schrumpfender Teil der Bevölkerung Deutschlands zu einer christlichen Konfession bekennt, erhalten die ehemaligen Staatskirchen weiterhin aufgrund sog. historischer Verpflichtungen jährlich hunderte Millionen Euro, kommen etwa in den öffentlich-rechtlichen Medien völlig überproportional zu Wort und dürfen in ihren Einrichtungen die in unserer Gesellschaft sonst erkämpften Rechte der abhängigen Arbeit einfach ignorieren. Es ist völlig inakzeptabel, dass hier, gestützt auf staatliche Gesetze, immer noch Zwang in Glaubensfragen ausgeübt wird.
Gegen diese Privilegierung protestieren wir!
Uns wird vorgeworfen, wir seien anti-religiös. Sicherlich gibt es unter uns religionskritisch eingestellte Menschen. Aber das ist wiederum nicht der Punkt, der uns hier und heute zusammengeführt hat, um gemeinsam zu protestieren. Natürlich kann mensch durchaus kritisieren, dass Menschen sich ihre Selbstbestimmung durch religiöse Autoritäten nehmen lassen – denn dass die Religions- und Weltanschauungsfreiheit auch darin besteht, sich selber an derartige Autoritäten zu binden, das können und wollen wir keineswegs bestreiten. Aber die Art und Weise, wie dieser Papst die Katholische Kirche gegen alle (schwachen) Tendenzen zur Selbstkritik und Selbstkorrektur im Sinne einer überholten, menschenrechts- und demokratiefeindlichen Moral festlegt und sich dafür auf seine hierarchische Autoritätsstellung beruft, halten wir für völlig unvertretbar und unzeitgemäß. Gerade dieser Papst ist keine moralische Autorität – die von ihm vertretenen moraltheologischen Positionen sind für die aufgeklärte Öffentlichkeit längst unhaltbar geworden. Wir haben kein Verständnis dafür, dass unter Berufung auf die Religionsfreiheit für die Katholische Kirche mit ihrer historisch überholten Moral in Fragen der öffentlichen Ethikdiskussionen eine herausgehobene Rolle reserviert wird: Etwa auch dadurch, dass unsere Bundesverfassungsrichter ihn als Autorität aufsuchen, wodurch ein Verfassungsorgan die staatliche Neutralitätspflicht in Religionsfragen verletzt.
Gegen diese Privilegierung protestieren wir!
Uns wird vorgeworfen, wir seien uncool und verbissen – d.h. wir würden uns anmaßen, alle anderen zu belehren und zu erziehen, und wir würden jede Art von weltanschaulich geprägter Kultur und Lebensgefühl aus dem öffentlichen Raum verbannen wollen.
Auch dies weisen wir zurück: Wir wollen anderen nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben, die Selbstbestimmung ist uns ein hohes Gut. Wir sind durchaus tolerant, aber es wäre doch ganz unvernünftig, im Namen der Toleranz auch noch die offen erklärte Intoleranz zu tolerieren!
Ihr Lieben,
wir protestieren hier und heute gegen einen Anachronismus: Eine immer noch stark hinkende Trennung von Kirche und Staat, wie sie vielleicht der westdeutschen Gesellschaft der 1950er Jahre entsprochen hat – sie ist aber heute für die weltanschauliche und kulturelle Pluralität unser Gesellschaft in Deutschland schon längst völlig unangemessen und politisch untragbar geworden.
Damit protestieren wir gegen eine schon längst überholte Privilegierung der ehemaligen Staatskirchen, deren Defizit an Modernisierung und Demokratisierung dieser Papst Benedikt XVI. hier und heute durch seinen Auftritt im Bundestag geradezu beispielhaft vorführt.
Alle hier, die wir gemeinsam gegen diesen Auftritt und gegen die Art protestieren, wie dieser Besuch dieses Papstes in Deutschland inszeniert wird, sind uns doch darin einig: Deutschland hat einen großen Nachholbedarf an Trennung von Staat und Kirche!
Wenn unser Protest hier ein Umdenken und ein entsprechendes politisches Tun auszulösen hilft, dann hat dieser Papstbesuch vielleicht doch etwas Positives bewirkt.
Machen wir daher unseren Protest jetzt gemeinsam deutlich hörbar!“