„Aus unserer Sicht bedarf es zunächst vor allem einer Versachlichung der gesellschaftlichen Diskussion.“ Das haben Frieder Otto Wolf, Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands, und Gita Neumann, Leiterin der Bundeszentralstelle Patientenverfügung, in einem Schreiben an die Verhandlungsführer der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) bei den Koalitionsgesprächen mit den Unionsparteien betont.
Die von den Unionsparteien auf Druck der Kirchen für 2014 geplante Einführung eines neuen Strafrechttatbestandes zu einem Suizidhilfe-Verbot gehöre nicht in den künftigen Koalitionsvertrag, machte der Bundesverband gegenüber den Mitgliedern der großen Verhandlungsrunde und weiteren an den Koalitionsverhandlungen beteiligten Politikerinnen und Politikern der SPD in dieser Woche deutlich.
Vor allem die Kirchen wirken seit langem darauf hin, dass die bislang in Deutschland straffreie Beihilfe zum Suizid umfassend verboten wird.
Dabei sei „nicht nur die gewerbsmäßige, also gewinnorientierte Suizidbeihilfe unter Strafe zu stellen, sondern jede Form organisierter (geschäftsmäßiger) Beihilfe zur Selbsttötung“, hieß es dazu in einer Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche Deutschland im November vergangenen Jahres. Aus christlicher Perspektive sei ein Suizid grundsätzlich abzulehnen, „weil das Leben als eine Gabe verstanden wird, über die wir nicht eigenmächtig verfügen sollen.“
Diesen Forderungen hatte der Humanistische Verband Deutschlands wiederholt entschieden widersprochen.
In einer ausführlichen Stellungnahme gegenüber den 622 Abgeordneten des Deutschen Bundestages der vergangenen Wahlperiode betonte im Februar dieses Jahres Erwin Kress, Vizepräsident des Bundesverbandes, dass die Politik es sich nicht anmaßen dürfte, auf alle Menschen in unserem Land die Maßstäbe der christlichen Religion anzuwenden und erst recht nicht, „freiwillensfähige und todkranke Menschen daran zu hindern, in freier Selbstbestimmung das eigene Leben zu beenden und sich dabei helfen zu lassen.“
Kress unterstrich damals, man müsse auch die Selbstbestimmungsrechte betagter und schwer chronisch kranker Menschen, die ihr Leben in scheinbar aussichtsloser Situation beenden möchten, „ernst nehmen, gemeinsam mit ihnen nach Alternativen suchen, darf sie aber auch nicht alleine lassen, wenn sie aus Überzeugung an ihrem Wunsch zur Lebensbeendigung festhalten.“
Statt einer Verschärfung gesetzlicher Regelung seien neben einer Enttabuisierung von Suizidwünschen und Förderung von ergebnisoffener psychologischer Beratung und der Suizidprophylaxe die Verbesserung der Zustände in Pflegeheimen und ein Ausbau von Palliativmedizin für alle die drängendsten Aufgaben, denen sich die Politik und Gesellschaft verpflichten müssten.
Im Schreiben an die Vertreter der SPD bei den laufenden Koalitionsverhandlungen warnte der Bundesverband deshalb erneut deutlich vor einer einfachen Verengung der Fragen zum Thema des selbstbestimmten und würdigenden Lebensendes auf eine Verbotsregelung. Die Fragen zur Regelung der Suizidhilfe bildeten nur einen „Aspekt in einer viel größeren Gesamtproblematik zur Frage, wie und ob die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land auf ein selbstbestimmtes und würdiges Lebensende vertrauen können.“
Frieder Otto Wolf und Gita Neumann erklärten dabei außerdem, der Bundesverband habe „gute Erinnerungen an die Beteiligung der SPD bei den parlamentarischen Debatten zur gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung, die aus unserer Sicht zu einem geeigneten gesetzlichen Rahmen geführt haben.“ Sofern sich der Deutschen Bundestag mit vergleichbarer Ernsthaftigkeit dem Thema der Suizidhilfe widmen wolle, würde der Bundesverband das unterstützen.
Laut einschlägigen repräsentativen Umfragen (Forsa-Umfrage der DGHS vom August 2012) befürworten 77 Prozent der Bevölkerung, dass es Ärzten erlaubt sein sollte, schwerstkranken und leidenden Menschen bei einem selbstbestimmten und würdigen Lebensende zu helfen.
Für Erschrecken sorgte, dass laut den Ergebnissen einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest vom Dezember 2012 jede zweite Bürgerin bzw. jeder zweite Bürger eher eine Suizidhilfebegleitung in Anspruch nehmen würde, als zu einem Pflegefall zu werden.
Der Handlungsrahmen sei aus Sicht des Humanistischen Verbandes Deutschlands daher klar: „Die Autonomie, die selbstbestimmte Entscheidungsfreiheit auch am Lebensende, ist den Menschen ein hohes Gut. Es ist Aufgabe der Politik, dieses Rechtsgut zu schützen und nicht zu untergraben. Ebenso ist es eine hochrangige Aufgabe der Politik, das Recht auf ein menschenwürdiges Leben, gerade auch am Lebensende, zu schützen.“