Künstliche Ernährung muss medizinisch begründet sein

Das Oberlandesgericht München hat gestern Rechtsgeschichte geschrieben. Erstmals wurde ein Schmerzensgeldanspruch zuerkannt, weil ein Arzt das Leben eines schwer kranken dementen Patienten über Jahre künstlich verlängert hatte. Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) begrüßt, dass Ärzte zukünftig in die Pflicht genommen werden, von sich aus auf eine unzumutbare Verlängerung künstlicher Ernährung hinzuweisen. Die künstliche Ernährung des Patienten mittels PEG-Sonde sah das Gericht nicht als medizinisch indiziert an.

Dem Alleinerben eines verstorbenen Mannes sind durch das OLG München Schmerzensgeldansprüche im Zusammenhang mit dessen künstlicher Ernährung mittels PEG-Sonde gegen den behandelnden Hausarzt zugesprochen worden.

In dem jetzt behandelten Streitfall war der Hausarzt des Patienten für die künstliche Ernährung des unter Betreuung stehenden Mannes in den Jahren 2010 und 2011 verantwortlich. Nach Ansicht des Klägers sei diese spätestens ab Anfang 2010 medizinisch nicht mehr indiziert gewesen. Sie habe zu einer sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens ohne Aussicht auf Besserung des gesundheitlichen Zustands geführt.

Das Oberlandesgericht schloss sich dieser Auffassung einer Pflichtverletzung seitens des Beklagten an. „Als behandelnder Arzt eines nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten wäre er nämlich verpflichtet gewesen, die Fortsetzung der PEG-Sondenernährung im Stadium der finalen Demenz oder deren Beendigung mit Umstellung des Behandlungsziels auf rein palliative Versorgung mit der Folge eines alsbaldigen Todes des Patienten besonders gründlich mit dem Betreuer zu erörtern. Eine derartige vertiefte Erörterung mit dem Betreuer war hier unstreitig, also auch nach Angaben des Beklagten, nicht erfolgt.“ (Pressemitteilung 91/2017 des OLG: https://www.justiz.bayern.de/gerichte-und-behoerden/oberlandesgerichte/muenchen/presse/2017/91.php)

Der Humanistische Verband begrüßt dieses Urteil. Erwin Kress, Mitglied des Bundespräsidiums und dort seit langem Sprecher zum Thema Autonomie am Lebensende: „Wir begrüßen, dass Ärzte zukünftig in die Pflicht genommen werden, von sich aus auf eine unzumutbare Verlängerung künstlicher Ernährung hinweisen zu müssen. Solche Fälle von sinnlos leidenden Demenzpatienten sind traurige Realität in der Altenpflege. Schadensersatz für ein unerträglich erlittenes Leben zu erhalten, ist in Deutschland Neuland. Offenbar ist dieser Hebel aber notwendig, um endlich die Alternative zu etablieren, nämlich die Palliativversorgung auch in den Heimen.“

Erwin Kress, Sprecher des HVD-Bundesverbandes zum Thema Autonomie am Lebensende.
Foto: © A. Platzek

Der Kläger wurde vor Gericht vertreten von dem bekannten Münchner Rechtsanwalt Wolfgang Putz. Dieser hat schon einige bahnbrechende Urteile erstritten, mit denen die Rechtsstellung von Patienten gestärkt wurde. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die in großem Umfang stattfindende Lebensverlängerung durch künstliche Ernährung.

Diese ist häufig medizinisch sinnvoll, wenn ein vorübergehendes Leiden vorliegt. In zahlreichen Fällen wird die künstliche Ernährung mittels Magensonde (PEG) jedoch ohne Aussicht auf Besserung des Patientenzustandes und oft gegen dessen Willen verordnet.

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